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09.12.2010

Ein Weg zur Physik

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Foto: R. Jähne

Wie kommen Physiker am CERN eigentlich zu ihrem Beruf? Arbeiten am LHC nur die, die schon in der Schule Mathe und Physik Leistungskurse hatten? Oder ist der Weg gar nicht so vorgeschrieben? Fragt man einzelne Wissenschaftler zeigt sich: der Weg ist bei weitem nicht so klar wie man sich das manchmal vorstellt. Ihren Weg zum CERN stellt Regina Kwee, Doktorandin am ATLAS-Experiment, vor.

Ein Artikel von Birgit Ewert, zuerst erschienen in den ATLAS e-News.

Im Jahr 2000 – dem „Jahr der Physik“ – hat Regina Kwee ihr Abitur in Berlin gemacht. Damals besuchte sie mit einer Freundin die Ausstellung „Reise zum Urknall“ in der Berliner Urania, und vielleicht wurde genau dort ihr Interesse für Teilchenphysik geweckt. Physik fand Regina schon immer sehr spannend, trotz der humanistischen Ausbildung mit Latein und Alt-Griechisch. „Aber für beides, alte Sprachen und Physik, braucht man eine analytische Herangehensweise”, betont Regina. Die Begeisterung für Physik kam allerdings weniger aus der Schule. „Unser letzter Physiklehrer hat Sachen nie vollständig erklärt, ich habe mich da lieber auf die Bücher verlassen. Er war sogar sehr erstaunt, dass wir wussten, dass es Neutrinos gibt!“ Deshalb waren Regina und ihre Freundin froh, als sie in der Ausstellung auf Physiker trafen, die alle ihre Fragen beantworten konnten. „Christoph Rembser war einer davon. Wir haben ihn mit unseren Fragen gelöchert!”, erinnert sie sich. „Und jetzt bin ich am CERN und wir beide arbeiten im gleichen Experiment!”

Trotz der positiven Erfahrung mit „echten Physikern“ wagte sich Regina zunächst nicht an ein Physikstudium. Außerdem wollte sie beruflich gerne etwas machen, dass anwendungsbezogen ist. Einen Vorgeschmack bekam sie durch ein elfwöchiges Praktikum bei Daimler-Chrysler in Mannheim. Dort hatte sie Spaß am Zusammenschrauben von Motoren und lernte etwas über Brennstoffzellen und andere alternative Antriebe. Nach diesem Praktikum begann Regina das Studium in Elektrotechnik und Energiesysteme an der Technischen Fachhochschule in Berlin. „Ich wollte mehr über die Technik zur Erzeugung regenerativer Energie wissen – und daran mitwirken, dass die auch eingesetzt werden. Allerdings fand ich, dass die FH dann doch nicht der richtige Ort dafür war. Mich interessierten oft eher die grundlegenden Fragen, und die Antworten waren dann eben den Mathematikern oder Physikern überlassen, aber nicht den Ingenieuren.“ In den Semesterferien machte sie ein Praktikum in der Elektronikgruppe bei DESY in Zeuthen. „Das war großartig, und ich habe dort viele begeisterte Physiker getroffen“, erinnert sie sich.
Nach diesem zweiwöchigen Praktikum wollte Regina dann doch Physik studieren und schrieb sich zum Sommer-Semester an der Humboldt Universität zu Berlin ein. „Wir waren nur eine kleine Gruppe von etwa 40 Physikstudenten. Unser Professor, Lutz Schimansky-Geier, hat uns auf seine Weise sehr gefördert – mit einer Menge Extraübungen und Zusatzvorlesungen“, erzählt sie lächelnd. „Nach dem Vordiplom waren wir dann zwar nur noch zehn, aber wir sind alle bis zum Ende geblieben.“
„An der Physik fasziniert mich, dass man an die Grenzen der Vorstellungskraft stößt. Während meines Studiums begriff ich, dass so viel von der abstrakten Mathematik tatsächlich in der Natur vorkommt.“ 2005 ging Regina für zwei Semester an die EPFL in Lausanne: „Um einen anderen Blickwinkel auf die Physik zu bekommen, aber auch um eine weitere Sprache zu lernen – die auch noch gesprochen wird.“

Zurück in Berlin kam sie 2006 in die neu entstandene ATLAS-Gruppe bei DESY und machte dort ihre Diplomarbeit. „Anfangs waren wir zwei Diplomanden und zwei Doktoranden, alles Frischlinge bei ATLAS.“ Regina sah das aber durchaus positiv: “Mein Betreuer, Klaus Mönig, wusste, dass wir nur sehr wenig Erfahrung mit der ATLAS-Software hatten. Wann immer wir das Gespräch mit Experten brauchten, wurden wir zu ihnen geschickt. So besuchte ich Institute in England und bin auch häufig ans CERN gefahren. Das hat meine Arbeit immer sehr voran gebracht.” Im Herbst 2007 beendete Regina ihre Diplomarbeit über die Entwicklung von speziellen Triggern, die gerade in der Anfangsphase der Datennahme relevant sind.
Seit Januar 2008 ist Regina nun im Rahmen des Wolfgang-Gentner-Programms Doktorandin am CERN, wo sie ihre Arbeit fortsetzt und die speziellen Trigger implementiert. „Ich arbeite mit vielen, sehr professionellen Leuten. Und ich habe eine spannende Phase mitgemacht.“ freut sich Regina und meint damit die Zeit, in der der LHC und ATLAS in Betrieb gingen. Mittlerweise schreibt sie an ihrer Dissertation, die zu Beginn des nächsten Jahres fertig werden soll.
 
In ihrer Freizeit hat Regina von ihrer unmittelbaren Umgebung profitiert und Snowboarden gelernt. „Das habe ich aus meinem Lausanne-Aufenthalt mitgenommen, mir scheint, jeder Schweizer lernt Skifahren oder Snowboarden von Kindesbeinen. Es hat aber mit den EPFL-Leuten viel Spaß gemacht, auch wenn ich anfangs mehr im Schnee saß als auf dem Brett stand.”
 
Regina hat auch eine künstlerische Ader. Im Sommer ist sie mit Staffelei, Palette und Pinseln auf den Feldern von Meyrin zu finden. „Ich hatte an der Schule sehr guten Kunstunterricht, und einige Kunstlehrer waren engagiert. Sie organisierten Exkursionen und Ausstellungen, und ich habe sogar Bilder verkauft!”, freut sie sich. „Mit einer Schweizerin (auch Physikerin), die ich an der EPFL kennengelernt habe, habe ich ein Atelier auf ihrem Dachboden eingerichtet. Leider nutzen wir es aber viel zu selten.“
Und wie geht es nach der Promotion weiter? „Ich kam zu ATLAS in der Startphase und jetzt würde ich gerne mit der Datenanalyse weitermachen!“ Eine Postdoc-Stelle würde sich daher anbieten. „Ich bin aber auch an anderen, anwendungsorientierten Gebieten der Physik interessiert – Hauptsache spannend!”, sagt sie mit einem Lächeln. Noch hat sich Regina nicht zwischen Forschung und Industrie entschieden, sie möchte sich noch beide Wege offen halten.

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