10.12.2014

Kosmische Teilchen im LHC

Kerstin Borras

Kerstin Borras ist seit Anfang 2014 stellvertretende Sprecherin der CMS-Kollaboration

Wenn der LHC im Frühjahr 2015 mit einer erhöhten Kollisionsenergie von 13 Tera-Elektronenvolt wieder in Betrieb genommen wird, müssen die Detektoren für die neue Herausforderung gerüstet sein. Wissenschaftler und Ingenieure am LHC haben deshalb in den letzten zwei Jahren ihre Detektoren grundüberholt, einzelne Komponenten repariert, umgebaut und verbessert. Bevor die Nachweisgeräte ihre Arbeit wieder aufnehmen können, müssen sie neu eingemessen – im Fachjargon: kalibriert – werden. Das machen die Forscher mit Hilfe von kosmischer Strahlung. Wie das funktioniert, erklärt Kerstin Borras im Interview. Die DESYanerin ist seit Anfang 2014 stellvertretende Sprecherin der CMS-Kollaboration.


Weltmaschine.de: Was kann man sich unter der Kalibrierung eines Detektors vorstellen?

Kerstin Borras: "Wenn ein Experiment in vielen Teilen überarbeitet wird, dann fährt man es vorher komplett herunter. Man stellt den Strom ab und nimmt große Teile des Detektors und der Elektronik heraus. Das hat zur Folge, dass man, wenn man das Experiment wieder zusammengebaut hat, die Ausrichtung der einzelnen Komponenten zueinander, aber auch die Ansprechschwellen für die Elektronik neu eichen – also kalibrieren – muss. Ganz konkret bedeutet „Kalibrieren“ in diesem Zusammenhang, dass wir den Umrechnungsfaktor zwischen den elektrischen Signalen und der Energie – den sogenannten Kalibrationsfaktor - neu berechnen müssen. Nur so können wir herauszufinden, mit welcher Energie die Teilchen durch den Detektor geflogen sind."

Weltmaschine.de: Solange der LHC nicht in Betrieb ist, nutzen Sie kosmische Strahlung, um die Teildetektoren zu kalibrieren. Was genau ist denn kosmische Strahlung?

Kerstin Borras: „Das, was wir in unseren Detektoren nachweisen, sind die übrig gebliebenen Teilchen aus den sogenannten kosmischen Schauern. Protonen und andere Teilchen prasseln mit hoher Energie aus dem All in die Atmosphäre. Sie kollidieren dort genauso, wie wir das auch im Detektor beobachten, und zwar mit Luftteilchen. Die erzeugten Zerfallsprodukte der Kollisionen fliegen wie ein Schauer weiter nach unten, teilweise bis tief in die Erde. Das, was wir im CMS-Detektor nachweisen, sind dann letztendlich die Myonen in diesen Schauern. Wir haben ja im Standardmodell neben den Quarks die sogenannten Leptonen: Elektronen, Myonen und Tau-Teilchen. Das Myon ist sozusagen ein Schwesterteilchen vom Elektron.“

Weltmaschine.de: Wie nutzen Sie die Myonen für den Kalibrierungsprozess?

Kerstin Borras: „Sie können sich das so vorstellen: Ein Myon kommt von ganz oben aus dem All und fliegt durch unseren Detektor. Mit Hilfe unserer Myon-Kammern, die sich oberhalb und unterhalb unseres Detektors befinden, können wir nachweisen, ob das Myon einmal durch den gesamten Detektor geflogen ist. Wenn beide Kammern nahezu gleichzeitig ein Signal geben, wissen wir, dass alles richtig eingestellt ist. Denn nicht nur die gegenseitige Ausrichtung der Detektorbauteile zueinander ist wichtig, auch das Timing ist entscheidend. Alle Signale müssen zur gleichen Zeit kommen. Manche eingebauten Messgeräte haben leider wortwörtlich eine lange Leitung durch die Kabellänge und reagieren erst sehr spät. Das muss dann alles gegenseitig justiert werden.“

Kalibration mit kosmischen Teilchen

Foto: Der CMS Detektor misst wieder Myonen. (CMS/CERN)

Weltmaschine.de: Können Sie uns sagen, wie es jetzt weitergeht?

Kerstin Borras: Wir haben in der letzten Zeit nicht nur ziemlich viele Detektorkomponenten eingebaut, sondern im Laufe des letzten Jahres auch das sogenannte Triggersystem geändert, mit dem wir die Ereignisse rausfiltern, die wir aufzeichnen wollen. Das muss jetzt alles nach und nach in Betrieb genommen werden.

Weltmaschine.de:
Gab es schon erste Erfolge zu verzeichnen? Oder größere Probleme?

Kerstin Borras: Der bisherige Höhepunkt war der sogenannte „Extended Cosmic Run“. Der war Mitte November. Da wurde zum ersten Mal der Detektor wieder zusammengeschoben und der Magnet hochgefahren. Das war für uns ein wichtiger Meilenstein. Es dauert etwa einen Monat, bis man den CMS-Detektor wirklich komplett zusammengebaut hat und den Magneten dann hochfahren kann. Das hat alles wunderbar geklappt. Natürlich gab es auch kleinere Sachen, die noch nicht funktioniert haben. Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass einige Feuchte-Sensoren mit dem Magnetfeld andere Werte anzeigen. So etwas kann mit diesen Tests entdeckt und korrigiert werden. Wir haben zum Glück noch viel Zeit, um solche Kleinigkeiten zu reparieren.

Weltmaschine.de: Was wollen Sie bis Ende des Jahres noch geschafft haben?

Kerstin Borras: Wir werden den Detektor nun wieder auseinander fahren und Anfang Dezember den zentralen Pixeldetektor einbauen. Im Anschluss werden wir den Detektor wieder mit kosmischen Myonen vermessen, und zwar im offenen Zustand. Wir werden ihn ca. zwei Wochen auf Herz und Nieren testen – soweit es mit einem geöffneten Detektor möglich ist. Diese Testphase sollte bis Ende des Jahres abgeschlossen sein.

Weltmaschine.de:
Vielen Dank für das Gespräch!

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