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21.12.2015

Ein Tusch für den schnellen Blick

TADA

Ein vom Schnellwarnsytsem "TADA" herausgefiltertes Ereignis mit zwei Teilchen-“Jets” (in grün) mit einer Masse von 8,8 TeV. Allerdings zeigt es keine neue Physik.

Physiker versuchen ihre Daten so unvoreingenommen wie möglich anzugehen. Sie wollen vermeiden, dass sie etwas in den Daten sehen, weil sie es sehen möchten – oder dass sie umgekehrt etwas fälschlicherweise nicht sehen, was sie für unerwünscht halten. Aber Physik ist auch ein Wettrennen um die erste Veröffentlichung zu einem neuen Thema, insbesondere, wenn es sich um die erste Beobachtung neuer Physik handelt. Deswegen gibt es bei den LHC-Experimenten eine Art Schnellwarnsystem für interessante Daten – und Physiker wären nicht Physiker, wenn sie sich nicht einen passenden Namen für ihr Werkzeug ausdenken würden. In dem ATLAS Experiment klingt es wie es Tusch – es heißt "TADA"!

Um das besondere dieser Struktur zu verstehen, müssen wir erst einmal verstehen, wie eine Physikanalyse überhaupt abläuft. Die Daten aus den Teilchenkollisionen werden nicht von Hand auf interessante Ereignisse untersucht, dazu gibt es mit bis zu 40 Millionen Ereignissen pro Sekunde einfach zu viele davon. Stattdessen speisen Physiker alle Details über bekannte Teilchen und wie diese sich verhalten in Computerprogramme ein. Diese Programme werden dann verwendet, um die Daten in mehreren Stufen rigoros zu selektieren. Ziel ist es, dass nur die Ereignisse übrig bleiben, die interessant und vielleicht sogar ungewöhnlich sind. Aus diesem exklusiven Pool stammen die zu analysierenden Daten.

Ein Physiker hat mal diesen Vergleich gebracht: Stellen Sie sich vor, sie müssten von einer Autobahnbrücke aus ein Foto von einem roten Sportwagen machen. Wie erwischen Sie das richtige Auto aus den vielen, die unter Ihnen hinwegrasen? Zunächst einmal würden sie sich vermutlich auf alle roten Autos konzentrieren und sicherheitshalber jedes rote Auto einmal fotografieren. Dann würden Sie anfangen auszusortieren und alle Fotos von Kleinwagen, Kombis, LKWs, etc. in der Kamera zu löschen. Die selteneren Sorten würden Sie speichern, um zu Haus in Ruhe nach dem gewünschten Porsche zu sehen. So funktioniert auch die schnelle Vorauswahl der interessanten Ereignisse. Die Physiker nennen es „Trigger-Selektion“.

Fotographen bearbeiten ihre Fotos im Computer nach, korrigieren Farbwerte und andere Kalibrationen der Kamera, um die besten Ergebnisse zu erzielen. Das gleiche machen Physiker mit den selektierten Ereignissen, sie werden aufwendig kalibriert und die Ereignisse werden mit Computerprogrammen nach Mustern der vielen bekannten Teilchen durchsucht. Die so bearbeiteten Daten liegen dann für die Physikanalyse bereit.

Nun kommt der nächste Schritt: die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Die „Nadel“ sind hier die Ereignisse, die bestimmte Arten von vorher noch nie beobachteten neuen Teilchen zeigen. Das „Heu“ sind die vielen Milliarden anderen Ereignisse in den Daten. Nur eine optimale Suchstrategie erlaubt es den Physikern, auch die kleinste Nadel zu finden. Diese Strategie entwickeln sie nicht mit den Daten selber, die ja fast alle nur Heu darstellen. Physiker verwenden Computermodelle, in die sie das Wissen über bekannte und auch bisher nur theoretisch vorhergesagte neue Teilchen und deren Wechselwirkungen eingebaut haben, um künstliche (sogenannte „simulierte“) Ereignisse zu erzeugen. Die mit diesen Modellen erzeugten simulierten Ereignisse sehen genauso aus wie die echten Daten und können dazu verwendet werden, Kriterien zu erarbeiten um die bekannten und eventuelle neue Teilchen voneinander zu trennen. Die übriggebliebenen Ereignisse in den echten Daten werden dann mit den simulierten Ereignissen bekannter Physik verglichen, um zu entscheiden worum es sich im einzelnen handelt und ob man neue Physik gefunden hat. Hierbei lassen sich die Physiker von ihren Modellen für Teilchen neuer Physik leiten.

Um ein optimales Ergebnis zu erreichen muss diese Suche nach der besten Strategie sehr sorgsam durchgeführt werden, was oft viele Wochen oder Monate dauern kann. Während dieser Zeit wäre man für Ereignisse neuer Physik in den Daten blind, auch wenn diese sehr spektakulär sein sollten und somit einfach zu finden wären. Genau hier kommt das Schnellwarnsystem ins Spiel das am ATLAS-Experiment nach solchen spektakulären Anzeichen neuer Physik sucht. Es heißt schnöde „TAg DAta Analysis“, aber der Name war den Erfindern zu lang und zu langweilig, deswegen haben sie ihrem System einen lautmalerischen Tusch zum Namen gegeben: „TADA“. Physiker Markus Elsing erklärt das Prinzip: „TADA guckt sich im Schnelldurchlauf alle Daten an die gerade genommen worden sind, und schickt uns eine Warnung, wenn etwas drinsteckt, was nicht drinstecken sollte. Das kann neue Physik sein, aber es hat uns auch schon oft Probleme im Detektor, Fehler im Modell oder Probleme bei der Auslese aufgezeigt, weil sich TADA die rohen Signale anguckt. So konnten wir viele kleine Probleme schnell lösen.“ Der „TADA-Crosscheck“ ist schon fast zum geflügelten Wort in vielen Analysegruppen geworden.

Wenn TADA einen Fehler sieht, werden direkt die Forscherinnen und Forscher kontaktiert, die für die Analyse oder das betroffene Detektorsystem zuständig sind. Dabei holt sich TADA zweimal am Tag die frisch genommenen Daten und kombiniert sie mit denen. die bereits im System vorhanden sind. So baut sich ein großer Fundus an Statistik auf, der auch kleinste Probleme in den Daten mit der Lupe aufzeigt.

„TADA“ setzt sich zusammen aus einer Menge Physikwissen, gesundem Menschenverstand und einer Portion Bauchgefühl“, meint Markus Elsing. Mit den Daten aus der zweiten Laufzeit des LHC, die im Sommer 2015 begann, gab es schon einige interessante Abweichungen. Wenn der Beschleuniger nach der Winterpause wieder Kollisionen produziert, hoffen die TADA-Entwickler auf den nächsten großen Trommelwirbel.

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