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Hinweis auf ein neues Teilchen?

Gespannte Erwartung in der Teilchenphysik: In den Daten des vergangenen Jahres vom weltgrößten Teilchen- beschleuniger, dem Large Hadron Collider (LHC) am Genfer Forschungszentrum CERN, haben Forscher eine auffällige Abweichung der Messwerte von der Erwartung beobachtet. Diese Beule im Massenspektrum bei 750 Giga-Elektronenvolt (GeV) könnte womöglich ein Hinweis auf ein unbekanntes Teilchen sein. Es kann sich aber auch um eine statistische Fluktuation handeln, wie der neue CERN-Forschungsdirektor Eckhard Elsen erläutert, der zum Jahresanfang von DESY nach Genf gewechselt ist.

CERN-Forschungsdirektor Eckhard Elsen

CERN-Forschungsdirektor Eckhard Elsen war rund 25 Jahre lang Leitender Wissenschaftler bei DESY und hat unter anderem die Aktivitäten für den geplanten International Linear Collider koordiniert.

femto: Herr Elsen, zurzeit explodiert die Zahl von Fachartikeln, die versuchen, die beobachtete Abweichung zu deuten oder zu erklären. Sie sind seit Januar Forschungsdirektor am CERN – was kann das Ihrer Meinung nach sein?

Elsen: Zunächst einmal kann es eine statistische Fluktuation sein. Stellen Sie sich vor, Sie sind Trendspotter und auf der Suche nach dem neuesten Modetrend. Sie sehen zwei Leute mit blau-rot-karierten Jacken auf der Straße. Ist das schon ein Trend oder ist das Zufall? Sie würden sicher erst einmal weiter Ausschau halten und Informationen sammeln, bevor Sie auch in eine solche Jacke investieren.
Genauso ist es am LHC. Wir beobachten an dieser einen Stelle bei 750 GeV mehr Ereignisse als erwartet, einen „Bump“; statistisch ist das bisher nicht signifikant. Es ist schon mal gut, dass die beiden großen Detektoren ATLAS und CMS, die ja unterschiedliche Nachweistechnologien nutzen, beide diese Abweichung sehen. Es ist allerdings auch so, dass die Ausschläge zwar nahe beieinander liegen, aber vielleicht nicht genau an derselben Stelle sind. Uns fehlen einfach noch weitere Informationen.
Immerhin können wir aber einen Messfehler ausschließen, denn die Messung selbst ist ziemlich deutlich: Die Detektoren sehen Ereignisse mit zwei hochenergetischen Photonen, also Lichtteilchen. Es ist unwahrscheinlich, dass sie diese Signatur falsch interpretieren, diese beiden Photonen stechen prominent unter den Detektorsignalen hervor. Mit mehr Daten werden wir herausfinden, ob der Buckel sich verstärkt oder eingeebnet wird.

femto: Wie lange wird das dauern?

Elsen: Die Teams der beiden Detektoren publizieren gegenwärtig ihre Beobachtungen des letzten Jahres. Der LHC ist nach der Winterpause in diesem Frühjahr wieder angelaufen und – wie es bisher ausschaut – in Bestform. Die Experimentalphysiker vergleichen die einlaufenden Messdaten mit denen aus dem letzten Jahr. Mit etwas Glück können wir vielleicht noch im Sommer abschätzen, ob wir hier kurz vor einer neuen Entdeckung stehen, oder ob die Statistik uns einen Streich gespielt hat. Alle Kollegen sind extrem gut vorbereitet und natürlich auch extrem gespannt.

femto: Mal abgesehen von dieser auffälligen Abweichung – was steht denn noch auf der Forschungsliste, bis der LHC 2018 wieder in eine lange Betriebspause geht?

Elsen: Je mehr Kollisionen wir bei der LHC-Designenergie von 13 Tera- Elektronenvolt beobachten, desto bessere statistische Analysen können wir machen, desto deutlicher werden Effekte sichtbar. Mit mehr Daten können wir allerdings auch Teilchen mit höheren Massen besser beobachten, unsere Messempempfindlichkeit bei hohen Massen steigt. Dadurch wachsen etwa unsere Chancen, Hinweise auf supersymmetrische Teilchen – oder weitere Ausschlussgrenzen für diese – zu finden.
Wir wollen das Gebiet solide abstecken und sehen, ob sich etwas Neues darin verbirgt. Bis zur nächsten großen Betriebspause 2018 planen wir, mehr als 100 inverse Femtobarn an Daten zu sammeln. Das wäre das Zwanzigfache dessen, was bisher bei dieser Energie gesammelt wurde, und immer noch ein Mehrfaches der Ausbeute aus der ersten Laufzeit des LHC.
Mit größerer Statistik können die Physiker sich auch auf seltenere Prozesse wie etwa außergewöhnliche Zerfälle schwerer Quarks stürzen, und wir werden natürlich die Eigenschaften des 2012 entdeckten Higgs-Teilchens genauer betrachten. Hier hilft uns sowohl die höhere Kollisionsrate des LHC bei hohen Energien als auch die größere Produktionsrate von Higgs-Teilchen. Die Zerfallsraten sind wie ein Fingerabdruck der Natur des Teilchens: Existiert es als einziges skalares Teilchen, oder gibt es vielleicht Bruder- oder Schwesterteilchen, die dann Hinweise auf eine komplexere Theorie gäben, zum Beispiel ein supersymmetrisches Higgs?

femto: Mal angenommen, die beobachtete Beule ist keine statistische Fluktuation und Sie nden tatsächlich ein neues Teilchen. Das wäre doch eine wissenschaftliche Sensation. Welche der vielen aufgestellten Thesen favorisieren Sie?

Elsen: Ich habe noch keine Theorie gesehen, die diese Messung hundertprozentig plausibel beschreibt. In der Regel klemmt es irgendwo in der Interpretation, und es müssen zusätzliche Annahmen gemacht werden. Das Teilchen – wenn es denn eins ist – zerfällt ja in zwei Photonen. Ausschließlich? Das allein wäre schon spektakulär.

femto: Was wäre daran so spektakulär?

Elsen: Wenn es ein neues Teilchen ist, wäre es Physik jenseits des Standardmodells. So etwas gibt es noch nicht, es erinnert an nichts anderes. Bisher hat alles immer ins Standardmodell gepasst, oder die Parameter konnten angepasst werden.
Mit mehreren Entdeckungen der letzten Jahre und Jahrzehnte haben wir im Grunde gerechnet, wir hatten eine Spur, es waren gezielte Suchen. Verstehen Sie mich nicht falsch, es war großartig, das top-Quark oder das Higgs-Teilchen nach langer Suche endlich zu sehen, aber überrascht hat uns deren Nachweis nicht wirklich. Das bei DESY entdeckte b-mixing oder der Nachweis, dass Neutrinos Masse haben, waren da weniger erwartet, allerdings stehen sie nicht im Widerspruch zum Standardmodell. Dieser neue Ausreißer tut das, sollte er sich bewahrheiten – das müssen wir erstmal abwarten.
Vielleicht kleben wir ja auch zu sehr an unseren theoretischen Modellen, müssen einen Schritt zurück machen und neu denken. Es wäre natürlich schön, etwas komplett Neues zu entdecken und alte Modelle über den Haufen zu werfen. Jetzt haben aber zunächst die Expe- rimentatoren das Wort.

femto: Mal angenommen, die beob- achtete Beule ist keine statistische Fluktuation und Sie nden tatsächlich ein neues Teilchen. Das wäre doch eine wissenschaftliche Sensa- tion. Welche der vielen aufgestellten Thesen favorisieren Sie?

Elsen: Ich habe noch keine Theorie gesehen, die diese Messung hundertprozentig plausibel beschreibt. In der Regel klemmt es irgendwo in der Interpretation, und es müssen zusätzliche Annahmen gemacht werden. Das Teilchen – wenn es denn eins ist – zerfällt ja in zwei Photonen. Ausschließlich? Das allein wäre schon spektakulär.

femto: Was wäre daran so spektakulär?

Elsen: Wenn es ein neues Teilchen ist, wäre es Physik jenseits des Standardmodells. So etwas gibt es noch nicht, es erinnert an nichts anderes. Bisher hat alles immer ins Standardmodell gepasst, oder die Parameter konnten angepasst werden.
Mit mehreren Entdeckungen der letzten Jahre und Jahrzehnte haben wir im Grunde gerechnet, wir hatten eine Spur, es waren gezielte Suchen. Verstehen Sie mich nicht falsch, es war großartig, das top-Quark oder das Higgs-Teilchen nach langer Suche endlich zu sehen, aber überrascht hat uns deren Nachweis nicht wirklich. Das bei DESY entdeckte b-mixing oder der Nachweis, dass Neutrinos Masse haben, waren da weniger erwartet, allerdings stehen sie nicht im Widerspruch zum Standardmodell. Dieser neue Ausreißer tut das, sollte er sich bewahrheiten – das müssen wir erstmal abwarten.
Vielleicht kleben wir ja auch
zu sehr an unseren theoretischen Modellen, müssen einen Schritt zurück machen und neu denken. Es wäre natürlich schön, etwas komplett Neues zu entdecken und alte Modelle über den Haufen zu werfen. Jetzt haben aber zunächst die Experimentatoren das Wort.

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