Aus dem Forschungsmagazin

Dieser Artikel stammt aus DESYs Forschungsmagazin "femto", Ausgabe 1/2017. 

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16.05.2017

Ein Lichtblick für den Nahen Osten

SESAME-Wissenschaftler

Wissenschaftler bei SESAME: in der zweiten Jahreshälfte sollen die ersten Experimente beginnen. Bild: CERN

Manchmal braucht es einen Teilchenbeschleu­niger, um die Menschen zusammenzubringen.

Was in der internationalen Politik oft nur unter großen Anstrengungen funktioniert, scheint in der Wissen­ schaft kein großes Problem zu sein: Im Projekt SESAME arbeiten Länder wie Israel, der Iran, die palästinensi­sche Autonomiebehörde, die Türkei und Zypern trotz aller politischer Spannungen partnerschaftlich für ein gemeinsames Ziel. Sie haben in Jordanien ein Forschungszentrum errichtet, das die erste Synchrotron­strahlungsquelle der Region beher­ bergt. Nach der Eröffnung soll SESAME (Synchrotron­-light for Experimental Science and Applica­tions in the Middle East) Wissen­schaftlern aus den verschiedensten Forschungsrichtungen ermöglichen, Strukturuntersuchungen mit Rönt­genstrahlung zu machen – von der Durchleuchtung neuer Materialien bis zur Analyse von Biomolekülen. So soll die Forschungslandschaft der Region gestärkt werden. Vor allem junge Forscher sollen in der Region gehalten werden, um langfristig Know­-how zu binden. Ein zweites, mindestens genauso wichtiges Ziel von SESAME ist es, den Austausch zwischen den Mitgliedsstaaten zu verbessern. „Es geht nicht nur darum, ein Forschungszentrum aufzubauen, sondern es ist ein friedensstiftendes Projekt, in dem viele Nationen zusammenarbeiten. Das beinhaltet viele Hürden, aber auch große Chancen, wenn das Projekt erfolgreich ist“, sagt Wolfgang Eber­hardt, Experte für die Forschung mit Photonen, der für Deutschland als Beobachter im SESAME­-Rat sitzt.

Der Weg zum fertigen For­schungszentrum war nicht einfach und von manchen Phasen des Still­ stands geprägt. Die Idee für das Pro­jekt hatten schon 1997 die Forscher Herman Winick vom US­-Beschleunigerzentrum SLAC und Gustav-­Adolf Voss, damals Beschleunigerdirektor bei DESY. Sie schlugen vor, den Berliner Beschleuniger BESSY I, der durch eine neuere Maschine ersetzt werden sollte, für eine Anlage im Nahen Osten zu spenden. Die Bun­desregierung stimmte diesem Plan zu. Mit Unterstützung der UNESCO kam es zur Gründung von SESAME, das 2004 zu einem zwischenstaat­lichen Projekt von Jordanien, Israel, dem Iran, Ägypten, Bahrain, der Türkei, Zypern, der palästinen­sischen Autonomiebehörde und Pakistan wurde. Lange Zeit ging es mit SESAME allerdings nur langsam voran, was vor allem an fehlendem Geld lag.

Seit drei Jahren gibt es große Fortschritte, auch, da durch eine Mil­lionenförderung der Europäischen Kommission ein neuer Speicher­ ring mitfinanziert und aufgebaut werden konnte. Heute ist SESAME eine Synchrotronstrahlungsquelle der dritten Generation, für die BESSY I in verbesserter Version als Injektor dient. Ende 2016 konnte die Inbetriebnahme der Anlage begin­nen, im Januar 2017 lief der erste Elektronenstrahl vollständig durch den Speicherring. In der zweiten Jahreshälfte sollen die Experimente an den beiden ersten Messstationen beginnen, im Laufe der Zeit werden weitere Stationen hinzukommen.

„Viele Kritiker haben die Schwierig­ keiten für zu groß gehalten und den möglichen Ertrag für zu gering. Wenn jetzt bald die ersten For­schungsergebnisse erscheinen, ist es wirklich eine tolle Sache“, sagt Eberhardt.

Vielfältige Experimente

Rolf Heuer

Rolf-Dieter Heuer, Vorsitzender des SESAME-Rats

Künftig wird ein neuer Vorsitzender den SESAME­-Rat leiten, das oberste Entscheidungsgremium: Rolf­-Dieter Heuer war lange Jahre Forschungs­direktor bei DESY, bevor er 2009 Generaldirektor des europäischen Teilchenforschungszentrums CERN bei Genf wurde. Heuer wird nun SESAME in die Betriebsphase führen.

„SESAME bietet nicht nur vielfältige wissenschaftliche Möglichkeiten, von der Physik über Lebenswissen­schaften bis hin zur Archäologie, einmalig in dieser Region. Diese For­schungsanlage soll auch als Brücke für die Völkerverständigung über politische, kulturelle und religiöse Weltanschauungen dienen – wie einst das CERN nach dem Zweiten Weltkrieg: Naturwissenschaft kennt keine nationalen, politischen oder weltanschaulichen Grenzen. Diese Chance gilt es zu nutzen!“, sagt Heuer.

SESAME soll dabei auch den Austausch mit Ländern in Europa und anderen Regionen stärken. Viele Staaten sitzen als Beobachter im SESAME­-Rat und unterstützen das Projekt mit Geld oder durch Maschi­nen und Expertise, viele europäische Forschungszentren arbeiten eng mit SESAME zusammen. Bei DESY gab es mit Gustav­-Adolf Voss von Beginn an einen starken Unterstüt­ zer des Projekts. „Gustav­-Adolf Voss hat sehr dabei geholfen, SESAME strukturell aufzubauen. Es gab mit anderen Instituten zusammen ein umfangreiches Capacity­Building­-Programm, in dem Wissenschaftler und Techniker aus der Region in den Forschungszentren ausgebildet wur­den“, sagt Frank Lehner von DESY, der heute die Zusammenarbeit von DESY und SESAME organisiert.
„Mehrere von ihnen kamen Anfang 2000 auch zu DESY.“

Völkerverständigung durch Forschung

SESAME Tor

SESAME öffne dich! Das internationale Forschungszentrum soll Wissenschaftlern aus der ganzen Region offenstehen. Bild: CERN

Einer davon ist Hossein Delsim­ Hashemi. Er erforschte kosmische Strahlung an der Sharif University of Technology im Iran, als er 2000 als einer von sieben Iranern zu einem SESAME­-Workshop nach Jordanien kam. Er sollte eine Stelle in der SESAME-­Injektor­-Gruppe bekommen und kam für die Ausbildung zu DESY. „SESAME zeigt, dass die Länder der Region zusammenarbei­ten und gemeinsame Ziele verfolgen können. So könnte das Projekt Wis­senschaftlern ermöglichen, zusam­menzukommen und vielleicht sogar in ihre Heimatländer zurückzukeh­ren. In den beteiligten Ländern gibt es großes Potenzial“, sagt der Iraner, der sich allerdings gewünscht hätte, dass SESAME schon einige Jahre früher die Tore öffnet.

Auch nach der Emeritierung von Gustav­-Adolf Voss unterstützt DESY das Projekt auf verschiedenen Wegen. Unter anderem versucht Lehner derzeit, Mittel für eine weitere SESAME­-Messstation zu sammeln, die von Deutschland aus finanziert werden könnte. „Wir sollten ein deutliches Zeichen set­zen, dass in Deutschland der Wille vorhanden ist, in den Ländern des Nahen Ostens zukunftsweisende Projekte zu schaffen. SESAME ist ein solches Projekt, das in der Region Forschungskapazitäten aufbauen könnte, die nachhaltig dort bleiben“, betont Lehner. Zusätzlich ist DESY gemeinsam mit neun weiteren eu­ropäischen Forschungszentren Teil des EU­-finanzierten OPEN­-SESAME­-Projekts, mit dem Wissenschaftler und Personal für SESAME ausgebil­det werden sollen.

Aber auch andere Forschungszentren könnten von SESAME lernen. Denn in mindestens einem Bereich könnte das Forschungszen­trum schon bald ein Vorreiter sein: Es gibt Pläne, den Stromverbrauch des Speicherrings vollständig durch Solarenergie zu decken. Dafür hat die jordanische Regierung Land ausgewiesen, mit EU­-Mitteln werden Photovoltaikanlagen aufgebaut. Zusätzlich wird es eine Kooperation mit den lokalen Stromversorgern geben, die das Problem der Speiche­rung des Stroms lösen soll. Tagsüber wird überschüssiger Strom ins Netz eingespeist, nachts wird dafür dann Energie aus dem Netz bezo­gen. SESAME wird damit der erste Beschleuniger sein, der komplett aus nachhaltigen Energiequellen betrieben wird.

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