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06.04.2017

SUSY, Higgs und B-Meson: Physiker präsentieren Auswertung der neuesten LHC-Daten

Vortrag in Moriond

Ein Vortrag am ersten Tag der Rencontres de Moriond. Bild: C. Adam-Bourdarios/ATLAS

Das präziseste Ergebnis für die Masse des W-Bosons, eine neue Grenze für supersymmetrische Teilchen, angeregte Zustände – trotz Betriebspause am Beschleuniger steht der Physikbetrieb der LHC-Forscher nicht still. Jetzt ist die Zeit, in der die Ergebnisse der verschiedenen Analysen auf den für die Physikergemeinschaft wichtigen Fachtagungen vorgestellt und diskutiert werden. Eine der ersten großen Konferenzen in diesem Jahr waren die Rencontres de Moriond (kurz Moriond), die in La Thuile in Norditalien stattfanden.

Ein bahnbrechendes neues Ergebnis konnte in La Thuile nicht verkündet werden, dafür aber verschiedene vielversprechende Fortschritte. Die machen ohnehin eher den Physikeralltag aus als die ganz seltenen sensationellen Funde. 2016 wurde eine große Menge Daten gesammelt, da der LHC sehr zuverlässig lief und es nur wenige Unterbrechungen im Messbetrieb gab. Es konnten insgesamt sogar mehr Kollisionen aufgezeichnet werden als geplant. Alle vier großen Experimente am CERN konnten neue Ergebnisse aus den Datensätzen von 2015 und 2016 präsentieren.

ATLAS und CMS konnten zwar keine Hinweise auf neue Teilchen finden, dafür aber durch ihre Messungen genauere Aussagen darüber machen, welche Bedingungen mögliche Erweiterungen des Standardmodells erfüllen müssen. Ein Beispiel für ein solches Ergebnis: Durch die Daten des ATLAS-Detektors konnten neue Grenzen für die Eigenschaften von supersymmetrischen Teilchen gesetzt werden. Die Supersymmetrie ist eine mögliche Erweiterung des Standardmodells, die zu den bekannten Elementarteilchen neue, schwere Partnerteilchen hinzufügt. Durch die ATLAS-Messung ist klar, dass diese Teilchen schwerer als 2 TeV sein müssen, falls es sie in der vermuteten Form gibt.

Zusätzlich zu den Suchen nach neuer Physik beschäftigen sich die ATLAS- und CMS-Forscher vor allem damit, die Prozesse des Standardmodells und auch die Eigenschaften wichtiger Teilchen immer genauer zu vermessen und dabei zu prüfen, ob das Standardmodell in sich konsistent ist. Viel Aufmerksamkeit bekommen hat die genaue Bestimmung der Masse des W-Bosons, eines Kraftteilchens der schwachen Wechselwirkung. Für dieses Ergebnis gab es sogar eine Extra-Session in Moriond. „Das Ergebnis ist sehr wichtig, weil es zeigt, dass am LHC nicht nur Suchen nach neuen Teilchen möglich sind, sondern auch Präzisionsmessungen“, erklärt Karl Jakobs von der Uni Freiburg, der seit Anfang März ATLAS-Sprecher ist. „In der Messung stecken viel Zeit und Arbeit, dafür ist sie auch so präzise wie das bisher beste Ergebnis zur W-Masse. Die genaue Bestimmung solcher Eigenschaften ist ein wichtiger Test für das Standardmodell.“ Bisher hält das theoretische Konstrukt jeder Prüfung stand.

Ganz genau untersuchen die Forscher gerade das Higgs-Teilchen, um zu prüfen, ob es tatsächlich die Eigenschaften hat, die das Standardmodell vorhersagt. In Moriond wurde von ATLAS-Forschern eine Analyse vorgestellt, in der ein bestimmter Zerfall des Higgs-Teilchens untersucht wurde. „Das Higgs-Teilchen zerfällt bevorzugt in schwere Teilchen. Solche Zerfälle, beispielsweise zu Tauonen, konnten schon genauer untersucht werden“, sagt Jakobs. „Jetzt konnten wir erstmals starke Grenzen für die Wahrscheinlichkeit setzen, dass das Higgs-Teilchen in zwei Myonen zerfällt. Dieser Prozess tritt nur sehr selten auf, ist aber ein weiterer wichtiger Test.“ Myonen gehören zur selben Teilchenfamilie wie Tauonen, sind jedoch leichter.

CMS hat sich wiederum beispielsweise damit beschäftigt, wie oft das Higgs gemeinsam mit zwei Top Quarks produziert wird. Der Fokus der beiden großen Experimente besteht also vor allem darin, die bestehenden Suchen mit der wachsenden Datenmenge in schwerer zugänglichen Bereichen fortzuführen.

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So sieht das Event Display einer Kollision von Protonen und Helium-Kernen im LHCb-Detektor aus. Bild: CERN/LHCb

Auch die Forscher von LHCb konnten verschiedene spannende Ergebnisse bekannt geben. In einer einzigen Messung konnten gleich fünf neue Teilchen beobachtet werden, alle fünf sind sogenannte angeregte Zustände (excited states) des Omega-c-Teilchens, das aus zwei strange- und einem charm-Quark besteht. In einer einmaligen Messmethode haben die Forscher Gas in den Vertexdetektor von LHCb eingeleitet, um Kollisionen von Protonen mit den Molekülen des Gases zu beobachten. Aus diesen Experimenten könnten sich wichtige Erkenntnisse für die Untersuchung von kosmischer Strahlung und Astroteilchenphysik ergeben. „Beide Ergebnisse zeigen die enorme Breite des LHCb-Forschungsprogramms“, erklärt LHCb-Forscherin Stephanie Hansmann-Menzemer von der Universität Heidelberg.

Zusätzlich hat LHCb den bisher seltensten beobachteten Zerfall eines B-Teilchens, nämlich den Zerfall in zwei Myonen, genauer untersucht und beispielsweise neue Ergebnisse zur Lebensdauer der Teilchen erhalten. Hier entsprachen alle Ergebnisse den Vorhersagen des Standardmodells. Etwas anders könnte es dagegen bei der Untersuchung eines anderen Zerfalls aussehen. Schon 2014 hatte LHCb Ergebnisse zum Zerfall des B+-Mesons vorgelegt. Beim Zerfall dieses Teilchen sollten nach dem Standardmodell genauso oft Elektronen wie Myonen entstehen. Doch LHCb beobachtete deutlich häufiger den Zerfall in Elektronen. Da die Zerfälle nur sehr selten beobachtet werden konnten, war die Aussagekraft der damals vorgestellten Ergebnisse begrenzt.

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Seltener Zerfall eines B0-Mesons in zwei Myonen, gemessen im LHCb-Detektor. Bild: CERN/LHCb

Doch jetzt soll es eine weitere Messung in einem ähnlichen Zerfallskanal geben, bei der ebenfalls untersucht wird, ob es häufiger vorkommt, dass zwei Elektronen oder zwei Myonen entstehen. Dadurch wird es klarer, ob das erste Ergebnis nur eine statistische Fluktuation, also Zufall, war oder ob der Unterschied tatsächlich besteht. Bis Moriond haben es die LHCb-Forscher nicht ganz geschafft, die Analyse abzuschließen, aber das Ergebnis soll bald vorgestellt werden. „Das ist das Ergebnis, auf das alle warten. Die Messung vor drei Jahren hat bereits für viel Aufmerksamkeit gesorgt“, sagt Hansmann-Menzemer. „Die Messergebnisse sind theoretisch extrem genau vorhergesagt, das heißt, wenn wir hier experimentell erneut eine Abweichung finden, ist das potentiell neue Physik.“

ALICE hat neue Ergebnisse aus den Kollisionen mit Blei-Ionen veröffentlicht, durch die es möglich ist, die Dichte und den Druck im Quark-Gluon-Plasma genauer zu bestimmen. Zudem enthalten Messungen Hinweise darauf, dass auch in manchen Proton-Proton-Kollisionen ein solches Plasma entstehen könnte.

Bis zum Ende des momentan laufenden Run 2 soll die Menge der Kollisionen noch einmal deutlich steigen, danach werden der LHC und seine Detektoren in der in zwei Jahren anstehenden langen Betriebspause (2019-2020) noch einmal verbessert. In der näheren Zukunft stehen jetzt erstmal die LHC Physics-Konferenz im Mai in Shanghai und danach die großen Sommerkonferenzen an. Bis dahin werden die Forscher weiter Daten auswerten und neue Ergebnisse veröffentlichen. Und Ende Mai soll es dann auch wieder Kollisionen im LHC geben.

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