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06.07.2018

Zerstreute Teilchen

WZ

So sieht das seltene Ereignis im Detektor aus. Bild: ATLAS / CERN

Meist sind es die kleinen Dinge, die für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Sensation darstellen. Schließlich beschäftigen sie sich tagein, tagaus mit den kleinsten Dingen, die es gibt, und suchen nach seltenen, versteckten Vorgängen, die noch mehr Auskunft über die Regeln und Bestandteile unseres Universums geben können. Eine Gruppe von der TU Dresden hat jetzt als Teil eines internationalen Forschungsteams einen der seltensten Prozesse aufgespürt, die es im Universum gibt. Die Untersuchungswerkzeuge: der Teilchenbeschleuniger LHC am CERN und die dazugehörigen Detektoren. Der Prozess: die Streuung von zwei Botenteilchen aneinander. Unter 20 000 Milliarden Teilchenkollisionen kommt sie nur einmal vor.

Die Teilchen, um die es geht, sind sogenannte Botenteilchen: anders als die Masse tragenden „Materieteilchen“ wie zB Elektronen oder Quarks, übertragen sie eine der vier fundamentalen Kräfte des Universums. Das bekannteste unter ihnen ist das Photon oder Lichtteilchen, der Überträger der allgegenwärtigen elektromagnetischen Kraft. Eine weitere Kraft, die sogenannte schwache Kraft, wirkt vor allem in der Sonne und bei radioaktiven Zerfällen und wird durch die W- und Z-Teilchen übertragen. Die Kraft heißt „schwach“, weil ihre Reichweite sehr klein ist, denn die W- und Z-Teilchen sind im Vergleich zu anderen Elementarteilchen sehr schwer und kommen nicht sehr weit, bevor sie wieder zerfallen.

Normalerweise ist den Kraftteilchen egal, ob ein anderes von ihnen in der Nähe ist – sie beeinflussen einander oder „streuen“ nicht. „Deswegen werden Laserschwerter, die ja aus Photonen bestehen, immer Science Fiction bleiben – die Photonen gehen einfach durcheinander hindurch, man kann mit ihnen keine Schläge setzen“, erklärt Michael Kobel, Professor für Teilchenphysik an der TU Dresden. „Wir haben aber jetzt entdeckt, dass die W- und Z-Teilchen sich tatsächlich aneinander stoßen und ablenken können. Diese Entdeckung bestätigt wieder einmal, dass das Standardmodell der Teilchenphysik nicht nur richtig liegt, sondern auch die Macht der Teilchen mit ihm ist...". W-Laserschwerter werden allerdings nur jemals von Quarks benutzt werden können, weil sie ziemlich winzig sind – maximal 1/10 so lang sind wie der Radius einens Protons.

Der Streuungs-Prozess entsteht dadurch, dass jeweils Quark in den im LHC kollidierenden Protonen ein W- oder Z-Teilchen aussendet. Weil sie so schwer und kurzlebig sind, dass sie es noch nicht einmal aus dem Proton heraus schaffen, bevor sie zerfallen, ist es extrem unwahrscheinlich, dass sich zwei davon treffen und einander ablenken. Genau das haben die Forscherinnen und Forscher aber jetzt mit Hilfe der Kollisionsdaten des ATLAS-Detektors aus den Jahren 2015 und 2016 herausgefunden. Die Entdeckung ergänzt eine Beobachtung aus dem Jahr 2014, wo erstmals die Streuung von zwei W-Teilchen aneinander beobachtet wurde und deckt sich mit Daten des CMS-Detektors.

Mit Hilfe dieser Ergebnisse können die Wissenschaftler das Higgs-Teilchen, das diese Woche seinen sechsten Geburtstag feiert, noch genauer untersuchen. Denn das Higgs Feld dämpft diesen Prozess ganz entscheidend, so dass er sehr selten passiert. Durch die Beobachtung kann man also etwas über die stoßdämpfenden Eigenschaften des Feldes lernen.

Die Ergebnisse wurden diese Woche auf der Fachkonferenz ICHEP vorgestellt, bei der vom 4. bis 11. Juli in Seoul, Südkorea, Experten aus aller Welt die neuesten Ergebnisse aus der Teilchenwelt präsentieren.

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