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23.12.2021

Die starke Wechselwirkung, aber nicht *so* stark

TU München Studentin Emma Chizzali von der ALICE-Kollaboration erstellt Analysen, die kosmische Erkenntnisse liefern

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Illustration der Kollision, die den Kern von Chizzalis Analyse bildet. Ein Phi-Meson (rechts) wechselwirkt mit einem Proton (links) während eines elastischen Zusammenstoßes zwischen den beiden, wonach sie sich wieder trennen. (Bild: David Chinellato, ALICE Collaboration)

Emma Chizzali von der Technischen Universität München hat gerade ihre Masterarbeit erfolgreich abgeschlossen. Und als kleiner Bonus ist ihre Arbeit auch die Grundlage für einen Artikel in einer der führenden Physikzeitschriften.

Für ihre Masterarbeit analysierte Chizzali Daten des ALICE-Experiments am Large Hadron Collider, das zum ersten Mal eine bisher nur theoretisch bekannte Wechselwirkung zwischen einer Art Meson (einem Teilchen, das aus zwei Quarks besteht) und einem Proton (bestehend aus drei Quarks) untersucht hatte. Die Ergebnisse, die kürzlich im Fachjournal Physical Review Letters veröffentlicht wurden, haben Auswirkungen auf die Entschlüsselung einer der bizarrsten Strukturen in der Kosmologie.

Dafür dass Chizzali sich in der Schule nicht für Physik interessierte, ist der Blick in das Innenleben eines der geheimnisvollsten Körper des Universums eine ganz besondere Reise. „Ich fand Gefallen an der Physik, nachdem ich Mathe für Fortgeschrittene gelernt hatte - dann ergab alles in der Physik auf mathematische Weise einen Sinn“, sagt sie. „Was mir an der Teilchenphysik besonders gefällt, ist, wie grundlegend sie ist. Alles beginnt irgendwie mit der starken Wechselwirkung.“

Die starke Wechselwirkung, die fundamentale Kraft, die für den Zusammenhalt der Atomkerne verantwortlich ist, steht im Mittelpunkt ihrer großen Veröffentlichung in PRL. „Wir haben versucht, so viele Informationen wie möglich aus dieser Analyse herauszuquetschen!“ lacht Chizzali. Ihre Analyse untersuchte die beispiellose Beobachtung der Wechselwirkung zwischen einem Phi-Meson und einem Proton über die starke Wechselwirkung. Phi-Mesonen bestehen aus einem Strange-Quark und einem Strange-Antiquark, wobei ein Strange-Quark der schwerere Cousin der Quarks in unserem Atomkern ist, und das Strange-Antiquark sein Antimaterie-Partner. Diese Zusammensetzung macht das Phi-Meson zu einem guten Kandidaten für die Untersuchung mehrerer Schlüsselaspekte der starken Wechselwirkung.

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Emma Chizzali. (Bild: privat)

Diese Daten durchliefen dann ein leistungsstarkes Analysepaket, das Chizzali mitentwickelt hat. Bei dieser Analyse werden die Rohdaten mithilfe eines umfangreichen weltweiten Computernetzes nach Signalen der interessierenden Teilchen - hier das Phi-Meson und das Proton - gefiltert. „Nach ein paar Tagen erhält man das Ergebnis, aus dem dann die Korrelationsfunktion der Daten extrahiert wird“, erklärt Chizzali. Die Korrelationsfunktion ist im Wesentlichen das mathematische Verhalten des Mesons und des Protons bei ihrer Wechselwirkung. „Durch die Anpassung der Daten an das Modell ist es dann möglich, Informationen über die Wechselwirkung zu gewinnen“.

Da Phi-Mesonen aus einem Teilchen und seinem Antiteilchen bestehen, dauert es nicht lange, bis sich die beiden in eine andere Gruppe von Teilchen verwandeln. Dies gilt umso mehr, als die Strange-Quarks selbst ziemlich instabil sind. Glücklicherweise hinterlassen Phi-Mesonen ein Zerfallssignal, das ziemlich eindeutig ist – zwei geladene Kaonen, eine andere Art von Meson. Die ALICE-Wissenschaftler:innen extrahierten aus den Detektoraufzeichnungen Kaonen-Paare und konnten aus deren Bewegung und Energie die Wechselwirkung eines Phi-Mesons mit einem Proton rekonstruieren.

Die Analyse zeigte: Das Zusammentreffen von Phi-Meson und Proton wurde zwar durch die starke Wechselwirkung vermittelt, war aber nicht so „stark“, wie man meinen könnte. Die beiden hatten einen hauptsächlich elastischen Zusammenstoß – in diesem „prallen“ das Proton und das Phi-Meson aneinander ab und gehen nach der Wechselwirkung getrennte Wege.

„Das gibt Aufschluss darüber, was in Neutronensternen passieren könnte“, so Chizzali. Neutronensterne sind ultradichte Überreste von Supernovae, dem massiven explosiven Endstadium einiger Sterne, die vollständig aus Quarks bestehen.

Ein rätselhafter Aspekt von Neutronensternen ist ihre extreme Dichte und die Frage, wie die Sterne mögliche Abstoßungskräfte zwischen den Quarks, aus denen sie bestehen, überwinden können. Eine Theorie besagt, dass Hyperonen, Cousins der Protonen, die ein Strange-Quark als eines ihrer Bestandteile haben, im Inneren des Neutronensterns existieren und durch einen anderen „Boten“ zusammengehalten werden. Ein Kandidat für diesen Boten war bisher das Phi-Meson, das aus Strange- Quarks und -Antiquarks besteht.

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Die Region um einen Neutronenstern in einem Nebel, gesehen in Gold. Neutronensterne gehören zu den geheimnisvollsten interstellaren Körpern, und das ALICE-Ergebnis deutet darauf hin, dass Phi-Mesonen in ihrem Inneren wahrscheinlich keine Rolle spielen. (Bild: NASA/CXC/SAO/JPL-Caltech)

„Unsere Ergebnisse deuten aber darauf hin, dass das Phi-Meson nicht das Zwischenglied zwischen den Hyperonen ist, da seine Wechselwirkung mit Protonen elastisch ist“, so Chizzali. „Die Wechselwirkung zwischen dem Phi-Meson und dem Proton ist nicht stark genug.“

Mit diesen Informationen werden die Wissenschaftler:innen jetzt nach anderen möglichen Kandidaten für Hyperon-Hyperon-Boten suchen, aber sie werden sich auch auf andere Erkenntnisse über die starke Wechselwirkung konzentrieren, die diese Analyse liefert.

In der Zwischenzeit hat Chizzali eine wichtige Veröffentlichung und ein scharfes Auge dafür, Informationen aus Daten herauszukitzeln – und das alles schon, bevor sie mit ihrer Doktorarbeit beginnt. Im Rahmen ihrer Promotion an der TUM wird sie ihre bisherigen Arbeiten zu starken Interaktionsanalysen fortsetzen.

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