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05.12.2011

Was verspricht man sich von den Kollisionen von Protonen mit Blei-Ionen?

Antwort

Kollisionen von Protonen mit Blei-Ionen sind am LHC für Ende 2012 geplant. Schon in diesem Herbst wurden dazu erste Tests durchgeführt. Hauptziel der Kollisionen von Protonen mit Blei-Atomkernen ist es, Beobachtungen in Blei-Blei-Kollisionen besser zu verstehen. Protonen sind wie ihre neutralen Gegenstücke, die Neutronen, aus Quarks und Gluonen aufgebaut. Wie sich Protonen und Neutronen im Detail aus den Quarks und Gluonen zusammensetzen, ist für Protonen und Neutronen sehr genau bekannt. Für Blei-Atomkerne, die aus 82 Protonen und 126 Neutronen bestehen, gilt das allerdings nicht. Deshalb helfen Proton-Blei-Kollisionen beim Verständnis der komplexeren Blei-Blei-Kollisionen.

Im Mittelpunkt der Untersuchung von Kollisionen zweier Blei-Atomkernen steht die einfache Frage, was passiert, wenn Kernmaterie, also die Materie aus der Atomkerne bestehen, heißer und heißer gemacht wird. Dabei wird erwartet, dass es zu einem Phasenübergang in einen Zustand kommt, in dem Quarks und Gluonen nicht länger in Protonen und Neutronen eingeschlossen sind, sondern sich sozusagen in einer Quark-Gluon-Suppe über größere Raumbereiche bewegen können. Dieser Zustand wird Quark-Gluon-Plasma genannt. Der Übergang zum Quark-Gluon-Plasma ist ganz ähnlich zu dem aus dem Alltag bekannten Phasenübergang von festem Eis zu flüssigem Wasser. Die nötige Temperatur für den Übergang zum Quark-Gluon-Plasma ist allerdings extrem: sie ist etwa 100 000-mal höher als die Temperatur im Inneren unserer Sonne. Solche Temperaturen lassen sich auf der Erde nur durch hochenergetische Kollisionen schwerer Atomkerne erzeugen.

Um Eigenschaften des in Kern-Kern-Kollisionen erzeugten Quark-Gluon-Plasmas zu untersuchen, werten die Physiker verschiedene Beobachtungsgrößen aus. Interessant sind dabei immer solche Beobachtungsgrößen, die in Proton-Proton-Kollisionen und Kern-Kern-Kollisionen ein anderes Verhalten zeigen. Das unterschiedliche Verhalten kann von dem in Kern-Kern-Kollisionen erzeugten Quark-Gluon-Plasma herrühren. Es ist jedoch auch möglich, das allein die nicht genau bekannte Zusammensetzung des Blei-Atomkerns eine Rolle spielt. Deshalb sind Proton-Blei-Kollisionen so wichtig: Ein Blei-Atomkern ist beteiligt, jedoch wird kein Quark-Gluon-Plasma erzeugt. Somit lassen in Kern-Kern-Kollisionen Effekte, die vom Quark-Gluon-Plasma herrühren, besser von anderen Effekten trennen.

Ein konkretes Beispiel sind Quarks und Gluonen hoher Energie, die in der Anfangsphase einer Kern-Kern-Kollisionen erzeugt werden und dann durch das sich bildende Quark-Gluon-Plasma fliegen. Anders als in gewöhnlicher Kernmaterie werden solchen energiereichen Quarks und Gluonen im Quark-Gluon-Plasma sehr stark abgebremst. Ein einfaches Bild wäre eine Pistolenkugel, die in Wasser viel stärker abgebremst wird als in Luft. Die Abbremsung hochenergetischer Quarks und Gluonen im Quark-Gluon-Plasma führt dazu, dass weniger Teilchen mit hohen Energien beobachtet werden. Die Stärke der Abbremsung lässt auf Eigenschaften des Quark-Gluon-Plasmas schließen. Um jedoch tatsächlich eine verringerte Zahl von Teilchen mit hohen Energien nachweisen zu können, muss man wissen, wie viele energiereiche Quarks und Gluonen anfänglich erzeugt werden. Im Bild der Pistolenkugel: Es muss bekannt sein, wie viele Kugeln überhaupt abgefeuert wurden. Um dies in Kern-Kern-Kollisionen sagen zu können, muss man, wie ob erwähnt, den genauen Aufbau der Blei-Atomkerne aus Quarks und Gluonen kennen. Die Experten sprechen davon, dass die Quark- und Gluonenverteilungen des Blei-Atomkerns genau bekannt sein müssen. Diese Verteilungen geben an, wie viele Quarks und Gluonen einer bestimmten Energie im Blei-Atomkern vorhanden sind. Nur wenn diese Verteilungen bekannt sind, weiß man, wie viele Quarks und Gluonen aneinander streuen und somit, wie viele hochenergetische Quarks und Gluonen in Kern-Kern-Kollisionen anfänglich erzeugt werden. Genau diese Quark- und Gluonenverteilungen des Bleikerns lassen sich mit Proton-Blei-Kollisionen am LHC sehr genau untersuchen.
 
Als Fazit können wir also festhalten: Kollisionen von Protonen mit Bleiatomkernen am LHC helfen beim Verständnis von Kollisionen zweier Bleikerne, weil sich in Proton-Blei-Kollisionen Effekte des durch die Quark- und Gluonenverteilungen beschriebenen Aufbaus der Blei-Atomkerne sehr genau messen lassen.

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Klaus Reygers ist Privatdozent an der Universität Heidelberg und Mitglied der ALICE-Kollaboration. Er untersucht globale Eigenschaften von Kern-Kern-Kollisionen sowie harte Streuprozesse und die Produktion von Photonen. Die Messung von Photonen ist besonders interessant, weil sie Rückschlüsse auf die Anfangstemperatur des Quark-Gluon-Plasmas erlaubt.

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