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Die SUSY-Suche

Wie Physiker mit dem weltgrößten Beschleuniger nach der Supersymmetrie fahnden

Der Fahrstuhl fährt 80 Meter in die Tiefe, dann öffnet sich die Tür. Zu Fuß geht es weiter durch Gänge und Räume aus schmucklosem Beton – bis man unvermittelt vor einem gewaltigen Hightech-Klotz steht. Sein Name: ATLAS, seine Eckdaten: 25 Meter hoch, 45 Meter lang, 7000 Tonnen schwer, zusammengesetzt aus Millionen von Einzelkomponenten. ATLAS ist einer der beiden Teilchendetektoren, die am weltgrößten Beschleuniger LHC nach SUSY-Teilchen fahnden.

Zwischen 2010 und 2012 hatten ATLAS und CMS, so der Name des zweiten Detektors, die Suche begonnen – damals ohne Erfolg. Doch nach zweijährigem Umbau setzt der LHC die Suche 2015 bei nahezu doppelter Energie fort. „Damit steigt die Wahrscheinlichkeit deutlich an, supersymmetrische Teilchen zu erzeugen“, sagt Isabell Melzer-Pellmann, Leiterin der CMS-SUSY-Gruppe bei DESY. „Und ich bin zuversichtlich, dass wir sie endlich entdecken werden.“

Der Large Hadron Collider LHC am CERN ist der größte Beschleuniger der Welt – ein unterirdischer Ring mit einem Umfang von 27 Kilometern. Er beschleunigt Protonen (Wasserstffkerne) auf enorme Energien und lässt sie frontal zusammenprallen. Dabei können exotische, kurzlebige Teilchen entstehen, die jedoch umgehend wieder in andere Teilchen zerplatzen. Diese in alle Richtungen davonfliegenden Bruchstücke versuchen die Detektoren möglichst präzise zu vermessen– von der Flugbahn über Impulsund Energie bis hin zur elektrischen Ladung. Auf Basis dieser Messdaten lässt sich später rekonstruieren, welche Elementarteilchen bei den Kollisionen entstanden und ob neue, bislang unentdeckte Exoten darunter waren.

Mit dieser Methode haben ATLAS und CMS 2012 das Higgs-Boson aufgespürt – den letzten noch fehlenden Baustein im Standardmodell der Teilchenphysik. Das Higgs-Boson hilft anderen Elementarteilchen dabei, zu ihrer Masse zu kommen. Schon ein Jahr später erhielten Peter Higgs und François Englert, zwei der Schöpfer des „Brout-Englert-Higgs“-Mechanismus, den Nobelpreis für Physik. Damit hatte der LHC eines seiner Ziele erreicht. Ein anderes – die Entdeckung supersymmetrischer Teilchen – steht noch aus.

MelzerPellmann

Isabell Melzer-Pellmann leitet die CMS-SUSY-Gruppe bei DESY. Sie ist zuversichtlich, dass der LHC supersymmetrische Teilchen entdecken wird. Bild: DESY

Die Suche ist schwierig und aufwendig, denn die Experimente überfluten die Forscher mit regelrechten Datenlawinen. „Man kann unseren Detektor mit einer ultraschnellen Digitalkamera vergleichen, die 20 Millionen Aufnahmen pro Sekunde macht“, erläutert der Bonner Teilchenphysiker Philip Bechtle, einer der rund 3000 Physiker, die bei ATLAS mitmachen. „Wollten wir sämtliche Signale aufnehmen, müssten wir jede Sekunde ein Petabyte speichern.“ Das entspräche 200 000 DVDs pro Sekunde.

Technisch ist das unmöglich, weshalb eine clevere Elektronik jene Messungen aussortiert, die wahrscheinlich keine neuen Erkenntnisse enthalten, sondern nur Altbekanntes. Dennoch bleiben beachtliche Datenmengen übrig: Pro Sekunde werden etwa 200 Ereignisse gespeichert – mit einem Datenvolumen von zusammen einem Gigabyte. Pro Tag macht das einen Speicherbedarf von nahezu hundert Festplatten.

Aus diesem Wust müssen die Physiker einige wenige interessante Teilchenspuren herausfischen, die auf das kurzzeitige Entstehen und Vergehen eines SUSY-Teilchens hindeuten. „Auf ein interessantes Ereignis kommen eine Milliarde uninteressante“, erläutert Melzer-Pellmann. Konkret fahnden die Forscher nach speziellen Mustern im Detektor, durch die sich die supersymmetrischen Teilchen verraten könnten.

Ein Beispiel: Ein im LHC erzeugter SUSY-Exot könnte über eine Zerfallskette in das leichteste SUSY-Teilchen zerplatzen. In vielen SUSY-Modellen wäre dies das Neutralino, ein guter Kandidat für die Dunkle Materie im Universum. „Dieses Neutralino wäre zwar stabil, würde unserem Detektor aber durch die Lappen gehen, da es kaum mit Materie interagiert“, erklärt Melzer-Pellmann. „Aber wir würden merken, dass plötzlich Energie fehlt.“ Diese fehlende Energie wäre ein starker Hinweis für die Existenz des neuen Teilchens.

CMS

Teilchenspuren nach einer Kollision. Bild: CMS Collaboration, CERN

Um dieses mögliche Schlüsselereignis zu veranschaulichen, zeigt die DESY-Physikerin ein Bild auf ihrem PC: Zu sehen ist ein Schema von CMS, durchsetzt von farbigen Linien, die die Teilchenspuren symbolisieren – die Momentaufnahme einer Kollision. „Nach oben fliegen viele Bruchstücke weg, unten dagegen wird kaum etwas registriert“, beschreibt sie. „Da könnte ein Neutralino hingeflogen sein, also ein SUSY-Teilchen, das nicht mit unserem Detektor interagiert.“

Soweit die Theorie – doch in der Praxis ist es kniffelig, solche eindeutigen Muster in den Messdaten zu erkennen. Der Grund: Andere, auf bekannte Teilchen zurückgehende Ereignisse sehen ganz ähnlich aus und täuschen dadurch ein SUSY-Signal vor. Nur mit raffnierten Analyseverfahren sowie der Auswertung extrem vieler Daten könnte es gelingen, die Handschrift von SUSY aus dem riesigen Untergrund-Kauderwelsch herauszulesen.

Bislang jedenfalls – in der ersten LHC-Betriebsphase von 2010 bis 2012 – blieb die Jagd erfolglos. „Wir haben nicht das geringste Indiz auf die Supersymmetrie gefunden“, bedauert Klaus Mönig, Co-Leiter der ATLAS-Gruppe bei DESY. „Das ist schon enttäuschend, denn die Voraussagen der Theoretiker hatten durchaus nahegelegt, dass wir etwas entdecken könnten.“

Damit scheinen bestimmte Varianten von SUSY bereits ausgeschlossen. Denn die Supersymmetrie ist kein kompaktes, geschlossenes Modell, sondern entspricht eher einem theoretischen Rahmen von gewisser Flexibilität. Innerhalb dieses Rahmens haben die Theoretiker mit den Jahren eine Vielzahl unterschiedlicher SUSY-Varianten entwickelt. Manche davon sind – relativ gesehen – einfacher, andere dagegen komplexer.

Die einfachen Theorien waren davon ausgegangen, dass die SUSY-Teilchen relativ leicht sind. Dann aber hätte sie der LHC bereits entdecken müssen. „Ganz so einfach scheint es uns die Natur nicht zu machen“, meint der Theoretiker Herbert Dreiner aus Bonn. „Aber noch ist die Supersymmetrie nicht gescheitert, vielleicht sind ja die komplexeren Varianten richtig, in denen auch schwerere Teilchen möglich sind.“

Mönig

Klaus Mönig leitet die ATLAS-Gruppe am DESY-Standort in Zeuthen und hat schon in der ersten LHC-Betriebsphase nach Indizien für die Supersymmetrie gefahndet. Bild: DESY

Nach diesen schwereren SUSY-Teilchen hält der LHC in seiner zweiten Betriebsphase Ausschau. Im September 2008, wenige Tage nach seinem Erststart, war ein Kabel durchgebrannt, wodurch ultrakaltes Helium explosionsartig verdampfte und mehrere Beschleunigermagneten
aus ihrer Verankerung riss.

Nach der Reparatur hatten die CERN-Verantwortlichen den LHC vorsichtshalber nur mit halber Kraft laufen lassen – bei einer Energie von zunächst 7, später 8 Teraelektronenvolt (TeV). Ab 2013 wurde der Ring dann umgebaut, so dass er nun eine deutlich höhere Kollisionsenergie erreichen soll – 13 TeV.

Es gibt gute Argumente, dass wir die Supersymmetrie in den kommenden Jahren finden, aber keine Gewissheit

Das Entscheidende: Je höher die Energie, mit der die Maschine ihre Protonen aufeinander feuert, umso schwerer die Teilchen, die sich dadurch erzeugen lassen. „Dadurch erschließt sich ein ganz neuer Bereich, deshalb setzen wir große Hoffnungen in die nächste Phase“, betont DESY-Theoretiker Georg Weiglein. „Es gibt gute Argumente, dass wir die Supersymmetrie in den kommenden Jahren finden, aber keine Gewissheit.“

Was aber, wenn selbst der hochgerüstete Superbeschleuniger keinerlei Lebenszeichen von SUSY liefert? Das würde bei manchem Experten für Katerstimmung sorgen. „Dann ist die Sache für mich gegessen“, meint Herbert Dreiner. „In diesem Fall würde ich mich neuen Problemen zuwenden.“ Andere hingegen wollen unbeirrt weitersuchen – und befürworten einen nochmaligen Ausbau des LHC in zehn Jahren.

Danach soll die Maschine deutlich mehr Messdaten produzieren können – was die Wahrscheinlichkeit auf eine Entdeckung erhöhen dürfte. Manche Physiker dagegen liebäugeln mit einer alternativen Beschleunigertechnik, bei der nicht Protonen, sondern die deutlich leichteren Elektronen und ihre Antiteilchen, die Positronen, aufeinander geschossen werden. „So eine Maschine würde zwar keine so hohen Energien wie der LHC erreichen“, sagt DESY-Physiker Karsten Büßer. „Aber dafür ließen sich die Kollisionen deutlich präziser analysieren.“ Damit könnte man dann – so die Hoffnung – eine bestimmte Gattung von SUSY-Ereignissen, die in der babylonischen Fülle der LHC-Daten schlicht untergehen würden, doch noch dingfest machen.

„Außerdem könnte ein Elektron-Positron- Beschleuniger das Higgs-Teilchen genau unter die Lupe nehmen“, erklärt Büßer. „Womöglich finden sich dabei Abweichungen vom Standardmodell, die am besten durch SUSY zu erklären wären.“ So wäre es im Prinzip möglich, dass 2012 am CERN gar nicht das Standardmodell-Higgs, sondern ein supersymmetrisches Higgs gefunden wurde.

Doch selbst wenn keines der Experimente irgendwelche Anzeichen von SUSY aufspürt – endgültig vom Tisch wäre die Theorie damit noch nicht. „Im Prinzip könnte es sein, dass supersymmetrische Teilchen so schwer sind, dass man sie nie finden können wird“, sagt Georg Weiglein. Dann bliebe SUSY auf ewig bloße Theorie – mathematisch wunderschön und elegant, aber praktisch ohne Belang.

Die Suche nach Indizien
Sollte es nicht gelingen, SUSY-Teilchen mit einem Beschleuniger zu finden, bliebe die Möglichkeit des Indizienbeweises. Das Kalkül: Sollte ein Experiment Ergebnisse liefern, die nicht mehr durch das Standardmodell, aber durch die Supersymmetrie erklärbar wären, wäre die Theorie deutlich gestärkt. Für solche indirekten Nachweise gibt es mehrere Ansätze:
1. Detektoren, die auf Dunkle Materie lauern
Derzeit versuchen mehrere Experimente auf der Welt, jene Teilchen aufzuschnappen, die hinter der Dunklen Materie vermutet werden. Die meisten dieser Versuche stecken in Laboren tief in der Erde oder mitten im Berg, um sich gegen störende Einflüsse von außen abzuschirmen. Stößt ein Dunkle-Materie-Teilchen gegen das Kristallgitter des Detektors, sollte sich das durch ein schwaches Signal verraten. Noch läuft die Suche ohne Erfolg. Doch würde man solch einen Exoten tatsächlich aufspüren, könnte sich dahinter ein SUSY-Teilchen verbergen.
2. Magnetmoment unter der Lupe
Als US-Forscher vor einigen Jahren das Myon – ein elektronenartiges Teilchen – präzise vermaßen, kamen sie zu einem verblüffenden Resultat: Das Magnetfeld des Winzlings wich ein wenig von jenem Wert ab, den das Standardmodell vorausgesagt hatte. Eine mögliche Erklärung: Das Myon könnte sich kurzzeitig in seinen Superpartner verwandelt haben, das Smyon. Restlos überzeugend sind die Messdaten jedoch noch nicht – weshalb Physiker in Chicago den Versuch ab 2016 mit größerer Präzision wiederholen wollen.
3. Spurensuche am Südpol
Tief im antarktischen Eispanzer stecken die rund 5000 Lichtsensoren des IceCube-Experiments. In erster Linie sollen sie die Signale von Neutrinos aufschnappen – flüchtige Teilchen, die aus der Ferne des Weltalls kommen und mit Materie höchst selten interagieren. Doch vielleicht kann IceCube auch die Signale von SUSY-Teilchen beobachten. Diese müssten regelmäßig in der Erdatmosphäre erzeugt werden, wenn energiereiche kosmische Teilchen mit enormer Wucht auf die Lufthülle prallen. Manche dieser SUSY-Teilchen sollten in IceCube einschlagen und eine verräterische Leuchtspur hinterlassen.
4. Indizienjagd im Weltall
Seit 2011 ist an Bord der Internationalen Raumstation ein Teilchendetektor installiert: AMS zählt Antiteilchen und versucht herauszufinden, wie viel Antimaterie es im Weltall gibt. Die ersten Ergebnisse lieferten eine Überraschung: AMS hat mehr Positronen aufgeschnappt als erwartet. Vielleicht stammen sie von Pulsaren, von rasant rotierenden Neutronensternen. Es könnte aber auch sein, dass herumgeisternde Dunkle-Materie- Teilchen miteinander kollidieren und dabei die Positronen aussenden. Welche Annahme richtig ist, können erst künftige Messdaten entscheiden.
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