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14.12.2016

Teilchenjäger in der Zwischenwelt

ATLAS-Forscher Frank Siegert: ein Portrait

Frank Siegert an Tafel

Eine von Frank Siegerts Welten: die theoretische Teilchenphysik.
Bild: Uta Bilow (IKTP, TU Dresden).

Frank Siegert ist in einer komfortablen Lage: er sitzt zwischen den Stühlen. Wenn man vielen Physikern nachsagt, dass sie in einer ganz eigenen Welt leben, hat Siegert es noch besser: er lebt in zwei verschiedenen. In der Teilchenphysik gibt es wie in vielen anderen Forschungsgebieten zwei Arten von Forschern: Theoretiker und Experimentatoren. Beide wollen die kleinsten Bausteine und letzten Rätsel des Universums erforschen und ergänzen sich dabei perfekt. Auch wenn die Grenzen zwischen den Gruppen leicht verschwimmen und es unzählige Untergruppen gibt, ist Siegert doch ein seltener Fall. Denn er steht zwischen Theorie und Experiment, forscht in der theoretischen Teilchenphysik, ist aber auch direkt an experimentellen Messungen am ATLAS-Experiment beteiligt.

Eigentlich mache er „total langweilige Physik“, sagt Frank Siegert von der TU Dresden. Er sucht nicht nach spannenden neuen Teilchen, die bisher nicht im Standardmodell der Teilchenphysik enthalten sind, sondern beschäftigt sich mit sogenannten Untergrundprozessen. Das sind die Prozesse, die in den meisten Messungen nicht interessant sind, weil sie garantiert keine neuen Teilchen enthalten, die man aber genau verstehen muss, um die wichtigen, neuen Signale zu erkennen. Siegert arbeitet an der Entwicklung und Verbesserung von Monte-Carlo-Generatoren. Das sind Simulationsprogramme, die mit Zufallszahlen und auf Basis von theoretischen Modellen die Ereignisse in den Kollisionen in Teilchenbeschleunigern wie dem Large Hadron Collider simulieren. Die Vorhersagen aus diesen Simulationen sind wichtig, um die Messergebnisse richtig verstehen und interpretieren zu können. Siegert beschäftigen vor allem zwei Aspekte: einerseits hilft er dabei, neue, sehr präzise Theoriesimulationen zur Verfügung zu stellen. So ist er an der Entwicklung des Sherpa-Programms beteiligt, das von Theoretikern auf der ganzen Welt entwickelt wird. Sherpa soll durch moderne theoretische Berechnungen die Präzision der Simulationen verbessern und dadurch die Unsicherheit von theoretischen Vorhersagen reduzieren.

Andererseits nutzt der Teilchenphysiker Messungen aus Experimenten, um diese Simulationen dann weiter zu verbessern. „Es geht darum, die Untergrundprozesse genauer zu untersuchen, die wir in den Simulationen noch nicht so gut verstehen und bisher nur unpräzise vorhersagen können“, erklärt Siegert. „So können wir die Theoriesimulationen präziser machen oder überhaupt validieren und sehen, wo es noch Probleme gibt.“ Diese Arbeit ist die Grundlage für jede experimentelle Suche und besonders wichtig bei komplizierten Messungen, bei denen man kein eindeutiges Signal hat, beispielsweise der Suche nach Supersymmetrie-Teilchen.

Schon als Doktorand forschte Siegert an dieser Schnittstelle zwischen theoretischen Berechnungen und experimenteller Messung. Nach seiner Diplomarbeit am Institut für theoretische Physik der TU Dresden ging er von 2007 bis 2010 für eine Doppelpromotion an der Durham University und dem University College London nach England. Aus der Theorie kommend, forschte er in Durham am Institute for Particle Physics Phenomenology, einem Institut, an dem zwar hauptsächlich Theoretiker arbeiten, das aber sehr nahe an der Phänomenologie ist, also durch Simulationen Vorhersagen für die Experimente macht. So hatte er sehr engen Kontakt zu Experimentatoren und half in einer Assoziation mit der ATLAS-Gruppe von Jon Butterworth bei der Vorbereitung der Auswertung der ersten LHC-Daten. Nach seiner Promotion arbeitete Siegert als Post-Doc an der Uni Freiburg. Auch dort saß er nominell in der Theoriegruppe, führte aber auch gemeinsam mit einem Doktoranden eine spezialisierte Messung am ATLAS-Experiment durch. 2013 ging er zurück nach Dresden.

Wenn er die Erfahrungen in beiden Ländern vergleicht, bemerkt Siegert, dass es die strikte Trennung zwischen theoretischer und experimenteller Forschung in der Teilchenphysik in Deutschland deutlich stärker gibt als beispielsweise in England. Das zeigt sich vor allem in der Institutsstruktur, in Deutschland gibt es wenige Querschnittsinstitute. So werden meistens Spezialisten für einen bestimmten Bereich gesucht. Daher freute sich Siegert besonders, als ihm die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 2014 eine Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe bewilligte. In dem Programm wird eine Gruppenleiterstelle mit wissenschaftlichen Mitarbeitern für in der Regel fünf Jahre finanziert. Die DFG will so Wissenschaftlern wenige Jahre nach der Promotion den Weg in die wissenschaftliche Selbstständigkeit eröffnen. In seiner Nachwuchsgruppe an der TU Dresden leitet Siegert ein Team aus Post-Docs und Doktoranden, die sowohl an Theorie-Simulationen arbeiten, als auch Messungen bei ATLAS durchführen.

Nachwuchsförderung in der Wissenschaft ist für ihn ein wichtiges Thema. Besonders für die Zeit zwischen Promotion und fester Stelle braucht es seiner Meinung nach bessere Regelungen: „Es ist schwierig, wenn man nach der Promotion vier bis fünf Post-Doc-Stationen durchlaufen muss. Man ist drei Jahre in einer Stadt, dann drei Jahre in der nächsten und wird dann vielleicht erst mit Mitte vierzig auf eine permanente Stelle berufen. So bleibt für viele vorher keine Zeit, sich um die Familiengründung zu kümmern.“

Seine Erfahrungen in der Arbeit zwischen Theorie und Experiment zeigen Siegert eins: Beide Seiten würden davon profitieren, etwas mehr vom jeweils anderen mitzubekommen. „Wenn man in beiden Gruppen drin ist, merkt man, wie viel die jeweils andere Gruppe nicht wahrnimmt“, erklärt Siegert. „Theoretiker haben ein bestimmtes Bild davon, wie Experimentatoren arbeiten und was da vielleicht nicht so gut läuft. Man kann aber erst richtig verstehen, wieso sie so arbeiten, wenn man dabei ist und sieht, wie viel Zeit und Mühe dahinter stecken.“ Auf der anderen Seite würden Experimentatoren den Theoretikern manchmal mit etwas zu viel Ehrfurcht begegnen. Auch weil der Kontakt zwischen beiden Gruppen eigentlich sehr problemlos verläuft, könnte es hilfreich sein, wenn es mehr Teilchenphysiker an dieser Schnittstelle geben würde. Hier schränkt Siegert aber ein: „Das ist kein Patentrezept, das für jeden gilt. Ich habe nur das Gefühl, dass es ab und zu auch Leute braucht, die dazwischen stehen.“

An der Teilchenphysik fasziniert den Dresdner Physiker neben der hohen Professionalität im Feld vor allem die Möglichkeit, immer näher an den Kern der Dinge zu kommen. “Man muss nicht an irgendeinem Punkt aufhören und bei einer makroskopischen Beschreibung bleiben, sondern kann zu den grundlegenden Gesetzmäßigkeiten vordringen“, sagt Siegert. Wenn er nicht zwischen den beiden Welten der Teilchenphysik wandert, nehmen Siegerts vier Kinder den Großteil seiner Zeit ein. Einmal die Woche findet sich dann auch noch etwas Zeit für eine Runde Basketball.

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