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"Zeig dich!" – Auf der Suche nach SUSY

Der weltgrößte Beschleuniger LHC macht sich auf die Suche nach SUSY-Teilchen, den Bausteinen für ein neues Weltbild

Diese Theorie hat es in sich: SUSY, die Supersymmetrie, stellt das Vorstellungsvermögen auf eine harte Probe. Doch die Mühe lohnt sich: Trotz des enormen Wissens, das Teilchenphysiker bereits über unsere Welt gesammelt haben, beschreibt ihr sogenanntes Standardmodell lediglich fünf Prozent des Universums. Eine Erweiterung dieses äußerst erfolgreichen, aber begrenzten Weltbilds verspricht die Supersymmetrie, die den bisher bekannten Teilchen je einen hypothetischen Superpartner zur Seite stellt. Für die Teilchenphysik würde SUSY, die „große Verdopplerin“, auf einen Schlag eine ganze Reihe von Rätseln lösen. Grund genug also, den weltgrößten Teilchenbeschleuniger, den Large Hadron Collider LHC in Genf, fit zu machen für die Suche nach den neuen Teilchen. Nach der Entdeckung des nobelpreisgekrönten Higgs-Teilchens im Jahr 2012 nimmt die „Entdeckermaschine“ LHC nun mit deutlich höherer Energie die Spur der heiß gesuchten SUSY-Teilchen auf.

Zu schön, um falsch zu sein

Urknall-Geschichte

Kurze Geschichte des Kosmos: Mit dem Urknall vor rund 13,8 Milliarden Jahren entstanden unzählige Elementarteilchen, die sich dann zu Atomen und später zu Sternen und Galaxien zusammenfanden. Beim Urknall könnten sich auch SUSY-Teilchen gebildet haben, die bis heute als Dunkle Materie durchs Weltall geistern. Grafik: DESY

Eine vollkommen symmetrische Welt? Für Physiker eine höchst verlockende Vorstellung. Schließlich haben sich Symmetrien in der Vergangenheit stets als zuverlässige Wegweiser erwiesen: Einsteins Relativitätstheorie basiert auf ihnen, ebenso das Standardmodell, so heißt das derzeit gültige Theoriegebäude der Teilchenforschung.

Deshalb schmieden die Gelehrten bereits seit den 1970er Jahren an einem neuen Weltbild – einer Theorie, die weit symmetrischer ist als alles zuvor. Noch ist diese Supersymmetrie, kurz SUSY, reine Hypothese. Doch wenn sie stimmt, wäre manches Rätsel der Physik auf einen Schlag gelöst. Gleichzeitig wären die Forscher ein gutes Stück weiter auf ihrem Weg zu einem einheitlichen, schlüssigen Weltmodell.

Im Alltag fallen Symmetrien vor allem in Bildern und Formen ins Auge: Unser Spiegelbild ist symmetrisch,ebenso die Muster auf Schmetterlingsflügeln oder die kunstvoll angelegten Gärten des Barock. In der Physik dagegen manifestieren sich Symmetrien vor allem in Formeln und Gleichungen. „Ein Ball sieht von allen Seiten gleich aus, egal wie man ihn dreht“, erläutert Herbert Dreiner, Physiker an der Universität Bonn. „Mathematisch entspricht das einer Rotationssymmetrie.“

Abstrakte Symmetrien wie diese haben sich in der Geschichte der Physik als höchst grundlegend erwiesen, sie bilden das Fundament für das Verständnis unserer materiellen Welt. Eindrucksvoll zeigt sich das in dem wohl prominentesten Regelwerk der Wissenschaft – in Einsteins Relativitätstheorie. „Sie ist ein Grundpfeiler der Physik und basiert auf Symmetrien, die Raum und Zeit miteinander verknüpfen“, sagt Georg Weiglein, Theoretiker bei DESY.

Dreiner

„SUSY legt nahe, dass die verschiedenen Naturkräfte, die wir heute beobachten, von einer einzigen Urkraft herrühren.“ Herbert Dreiner, Universität Bonn. Bild: Universität Bonn

Einsteins gedankliches Meisterwerk basiert auf dem Grundsatz, dass die Gesetze der Physik immer und überall identisch sind: Das Licht bewegt sich stets gleich schnell – ob in Berlin oder auf dem Mond, ob in der vergangenen Woche oder in hundert Jahren. Mathematisch gesehen sind Einsteins Formeln, inklusive des berühmten E=mc2, hochsymmetrisch. Die Experten sprechen bei dieser Raum-Zeit-Symmetrie von einer äußeren Symmetrie.

Als die Fachleute im Laufe der Zeit immer tiefer in den Mikrokosmos eindrangen und die Quantenwelt der Atome und subatomaren Teilchen erkundeten, stießen sie auf eine weitere Klasse, die inneren Symmetrien. Diese abstrakten Konstrukte stecken hinter jenen Naturkräften, die das Geschehen im Mikrokosmos beherrschen. Ein Beispiel ist die elektromagnetische Kraft, die zwischen Elektronen und Atomkernen herrscht und sämtliche Prozesse in der Chemie bestimmt.

Direkte Folge dieser inneren Symmetrien sind die sogenannten Erhaltungssätze; für die Teilchenforschung sind sie ebenso wichtig wie praktisch: Prallt in einem Beschleuniger ein schnelles Elektron frontal auf ein Anti-Elektron, ein Positron, werden kurzzeitig neue, exotische Teilchen gebildet, die umgehend wieder zerfallen. Während des gesamten Prozesses bleibt die elektrische Gesamtladung stets erhalten: Die Ladungen von Elektron und Positron addieren sich zu null, also ist auch die Summe der Ladungen der neu entstandenen Exoten gleich null und ebenso die Summe der Ladungen sämtlicher Zerfallsprodukte.

Nur: Die derzeit gültige Theorie der Teilchenforschung, das Standardmodell, behandelt innere und äußere Symmetrien weitgehend unabhängig voneinander – aus Sicht der Forscher ein unbefriedigender Zustand. „Deshalb tauchte schon vor Jahrzehnten die Frage auf,ob es nicht einen Zusammenhang zwischen beiden gibt“, sagt Georg Weiglein. „Die Antwort darauf ist die Supersymmetrie. In unserer vierdimensionalen Raumzeit ist sie die einzige mathematische Möglichkeit, innere und äußere Symmetrien unter einen Hut zu bekommen.“ Seit den 1970er Jahren tüfteln die Experten an dem entsprechenden theoretischen Rahmen. Bis heute haben sie eine Vielzahl unterschiedlicher Varianten entwickelt. Der grundlegende Mechanismus, der hinter all diesen SUSY-Spielformen steckt, ist allerdings hochabstrakt und wenig anschaulich. Er hat mit einer bestimmten Quanteneigenschaft der Elementarteilchen zu tun – dem Spin. Bildlich gesprochen entspricht der Spin dem Eigendrall eines Teilchens. Die Physiker unterscheiden dabei zwei Gattungen: Teilchen mit Spin ½ heißen Fermionen und sind die Bausteine aller Materie. Teilchen mit Spin 1 dagegen werden Bosonen genannt und sind für die Übertragung jener Naturkräfte verantwortlich, welche die Materie zusammenhalten. Vereinfacht gesagt: Fermionen sind Materieteilchen, Bosonen sind Kraftteilchen.

Bei der Supersymmetrie bezieht man diesen Spin in die gewöhnliche Raumzeit mit ein – und landet in einer deutlich komplexeren und abstrakteren Raumzeit. Jedes Teilchen, das sich durch diesen erdachten Superraum bewegt, erhält ganz neue Eigenschaften – eine Vorstellung, die deutlich über das bewährte Standardmodell der Teilchenphysik hinausgeht.

Insbesondere müssten die gewöhnlichen Teilchen in diesem Superraum neue, exotische Partnerteilchen besitzen. Ein Quark etwa, von Natur aus ein Fermion, hätte ein Squark zum Partner, ein supersymmetrisches Quark aus dem Reich der Bosonen. Entsprechend wäre das Selektron das Pendant zum Elektron. Umgekehrt wird das Photon zum Photino, das Gluon zum Gluino. Erstere zählen zu den Bosonen, letztere zu den Fermionen. Insgesamt wäre der Teilchenzoo des Standardmodells glatt verdoppelt – um ein regelrechtes Schattenreich aus bislang hypothetischen Superpartnern. Diese allerdings müssen deutlich schwerer sein als die gewöhnlichen Teilchen, sonst hätte man sie in Beschleunigerexperimenten längst aufgespürt.

SUSY

Schweres Schattenreich: In der Supersymmetrie besitzt jedes bekannte Teilchen ein schweres Pendant. Die Superpartner unserer Materieteilchen zählen zu den Kraftteilchen, ihnen wird ein „S“ vorangestellt – das Quark wird zum Squark. Die SUSY-Partner unserer Kraftteilchen dagegen gehören zur Kategorie der Materieteilchen. Ihnen wird ein „ino“ angehängt – das Gegenstück zum Photon ist das Photino. Grafik: DESY

Doch was wäre mit SUSY gewonnen, welche Fortschritte brächte sie der Teilchenforschung? Zunächst einmal, so die Intention ihrer Erfinder, wäre die Beschreibung der Natur schöner und eleganter als jemals zuvor: Nicht mehr nur Raum und Zeit wären symmetrisch, sondern zusätzlich auch Kräfte und Materie – mathematisch gesehen ein hochsymmetrischer Zustand.

Im Laufe der Zeit aber stellte sich heraus, dass SUSY weit mehr hergibt: „Im Standardmodell sind die drei Grundkräfte der Teilchenphysik unterschiedlich stark“, sagt Herbert Dreiner. „Die Supersymmetrie legt nahe, dass sie kurz nach dem Urknall gleich stark gewesen sind, also aus einer einzigen Urkraft hervorgegangen sind.“ Damit könnte die Supersymmetrie einen Meilenstein für ein zentrales Ziel der Physik darstellen – die Vereinheitlichung der Grundkräfte. Als Kandidat für ein solch allumfassendes Weltenmodell gilt die Stringtheorie. Da sie die Supersymmetrie auf elegante Weise mit einbeziehen kann, spricht man heute meist von den „Superstrings“.

Außerdem besitzt SUSY das Potenzial, zwei konkrete Probleme der Teilchenforschung zu lösen. 2012 wurde am CERN in Genf ein neues Teilchen entdeckt, das mit dem letzten noch fehlenden Baustein im Standardmodell übereinzustimmen scheint. Dieses Higgs-Boson versetzt andere Elementarteilchen in die Lage, überhaupt zu ihrer Masse zu kommen. Doch trotz seiner Entdeckung ist das Higgs noch rästelhaft: „Laut Standardmodell müsste es sehr viel schwerer sein, als es tatsächlich ist“, erläutert Dreiner. „Erst die Supersymmetrie kann schlüssig erklären, warum das Higgs so leicht ist.“ Für das Universum hätte ein extrem schwergewichtiges Standard-Modell-Higgs dramatische Folgen gehabt: Der Kosmos hätte sich gar nicht in seine heutige Form entwickeln können.

Das zweite Geheimnis, das SUSY lüften könnte, ist das der Dunklen Materie. Rein rechnerisch dürfte sie im Kosmos rund fünfmal häufiger sein als gewöhnliche Materie. Doch woraus die Dunkle Materie besteht, ist nach wie vor ein Rätsel. Die Supersymmetrie verspricht eine Antwort: „Beim leichtesten SUSY-Teilchen könnte es sich um ein Neutralino handeln, ein stabiles Teilchen, das nicht weiter zerfällt“, sagt DESY-Forscher Georg Weiglein. „Damit wäre es ein guter Kandidat für die Dunkle Materie.“

Sollte die Theorie der Supersymmetrie stimmen, würde man also deutlich klarer sehen in der Teilchenphysik: Die Physiker wüssten, wie Kräfte und Teilchen mathematisch zusammenhängen und warum das Higgs-Teilchen so leicht ist. Womöglich könnten sie das Geheimnis der Dunklen Materie lüften und einen Weg zur Vereinheitlichung der Naturkräfte entdecken. Doch um die Theorie zu beweisen, wäre eines zwingend nötig – endlich per Beschleuniger ein SUSY-Teilchen aufzuspüren.

Das Problem: „Leider verrät uns die Theorie nicht, wie schwer diese neuen Teilchen sind“, bedauert Georg Weiglein. Damit ist auch unklar, welche Energien man für ihre Erzeugung braucht, wie stark also jener Beschleuniger sein muss, der SUSY endlich dingfest macht. Die nächste Chance bietet sich am weltstärksten Beschleuniger LHC, der nach einer Umbauphase die Teilchen mit bis dato unerreichter Energie aufeinander feuert. „Ich bin zuversichtlich, dass man dann die entscheidenden Hinweise findet“, erklärt Weiglein. „Denn wie manche Kollegen sagen: Die Supersymmetrie ist einfach zu schön, um falsch zu sein!“

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