Mehr zum Thema
RSS-Feed
17.02.2017

Prototypisch: In der Physik sind nicht nur Physiker gefragt

CMS-Ingenieur Oskar Reichelt: ein Portrait

Oskar Reichelt und Prototyp

Teilchenjäger Oskar Reichelt entwickelt und testet Trägerplatten-Prototypen. Bild: DESY

Um Teilchen zu jagen, muss man nicht Physik studiert haben. Oskar Reichelt ist als Maschinenbauingenieur auch ein Teilchenjäger: beim Forschungszentrum DESY sorgt er dafür, dass die Sensoren eines neuen Bauteils für den CMS-Detektor ihre Arbeit machen können. Ohne Sensoren gäbe es keine Teilchenspuren, ohne Teilchenspuren keine Erkenntnisse. So greift im großen Abenteuer Teilchenphysik ein Rädchen ins andere und jedes muss sich drehen, damit Neues entdeckt werden kann.

Oskar Reichelts Baby ist matt schwarz, platt und ziemlich dünn mit ein paar metallenen Punkten darin. Es wird später einmal mit Sensoren bestückt und in den inneren Teil des CMS-Detektors eingebaut werden; sein Design muss aber bereits jetzt gründlich getestet und an Designänderungen angepasst werden, damit es in etwa drei Jahren einsatzbereit ist. Jedes noch so kleine Bauteil in den riesigen Detektoren des Large Hadron Collider am CERN und im Beschleuniger selbst durchläuft diese Prozedur, nur die wenigsten Komponenten lassen sich einfach aus dem Katalog bestellen. Die Anforderungen sind hoch: alles muss stabil und möglichst strahlungsresistent sein und gleichzeitig den herumfliegenden Teilchen so wenig Material in den Weg legen wie möglich, damit ihre Flugbahn nicht gestört wird. Außerdem muss am Ende alles präzise zusammenpassen. Da an diesem Projekt Gruppen von Instituten auf der ganzen Welt beteiligt sind, ist das keine leichte Aufgabe.

Für Reichelts Projekt, die Trägerstruktur der Endkappe des zukünftigen CMS-Spurdetektors, bedeutet das: sie muss steif und fest sein und eine geringe Dichte haben. Deshalb ist die Trägerplatte eine Art Sandwich aus kohlefaserverstärkten Kunststoff -Deckschichten und einem Kern aus Polymerschaum. In dem Schaum sind die Rohre für zwei Kühlkreisläufe eingelassen, die wiederum mit Aluminium- und Kohlenstoffschaumeinsätzen im Innern der Trägerstruktur verbunden sind. Nun muss aber die Kühlung auch an die Sensoren gelangen und das Ganze muss ja auch halten – wie sollen also die Verbindungseinsätze aussehen, auf die nachher die Sensoren geschraubt und geklebt werden und die den Kühlkreislauf fortsetzen? Und welcher Kleber soll alles zusammenhalten?

Ein 35 mal 40 Zentimeter großer Prototyp, ein Ausschnitt der später 2,4 Meter im Durchmesser großen Endkappenstruktur, hilft bei der Suche nach Antworten. „Im Moment mache ich Zusammenbaustudien, damit nachher alles passt“, sagt Reichelt. „Ich teste das komplette Design und musste selbst die Metall-Einsätze entwickeln, denn außer uns braucht niemand diese Spezialbauteile – alles entspricht genau unseren Anforderungen.“ Seine Einsätze aus Aluminium müssen mindestens auf einen zehntel Millimeter genau ausgerichtet sein, weil später die Sensoren daran befestigt sind und Präzision für die korrekte Bestimmung der Teilchen eine Grundvoraussetzung ist.

Schwarzkogel

Weil er sich im Job mit kleinsten Dingen und hoher Präzision beschäftigt, nimmt sich Oskar Reichelt in seiner Freizeit eher größere Dinge vor: Möbel aus Holz, Fahrräder oder Berge (hier: die Schwarzkogel in Kärnten). Bild: privat.

Präzision hat der Maschinenbauingenieur schon früh gelernt: „Ich hatte immer Spaß, mit kleinen Teilen zu arbeiten. Früher habe ich Flugzeugmodelle zusammengebaut“, grinst Reichelt, der gerade seinen Master an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften macht. Heute sind die Projekte etwas größer geworden: „Ich baue nun eher selbstentworfene Holzmöbel oder werkle an meinem meiner Fahrräder.“ Außerdem baut er nicht nur Prototypen, sondern ist selber einer. Nach seiner Ausbildung zum Industriemechaniker beim Forschungszentrum DESY war er nämlich der Erste, der ein duales Studium am DESY absolviert hat. Inzwischen kann bei DESY schon in mehreren Studiengängen dual studiert werden.

Zwei Endkappen mit montierten Sensoren werden später zusammen mit einer tonnenförmigen Struktur den Kollisionspunkt der Teilchen umschließen. Jede Endkappe besteht aus fünf mit Sensoren ausgestatteten Doppelscheiben. Insgesamt wird der Spurdetektor rund sechs Meter lang sein und einen Durchmesser von über zwei Metern haben. Wenn Design und Tests abgeschlossen sind, wird allerdings nicht Oskar Reichelt die Produktion der Trägerplatten übernehmen, sondern vermutlich eine externe Firma. Danach wird in der neuen High-Tech-Detektorbauhalle bei DESY die gesamte Endkappe zusammengefügt, und laut Plan hat sie im Jahr 2026 ihren ersten Einsatz mit echten Teilchenkollisionen.

„Es ist ein tolles Gefühl, bei so einem großen und bedeutendem, internationalen Projekt direkt mitzuwirken“, sagt der Ingenieur. Er ist bei weitem nicht der einzige Nicht-Physiker im Abenteuer Teilchenphysik: neben Ingenieuren gehören auch Techniker, Vermesser, IT-Spezialisten, Juristen und noch viele andere Berufe dazu.

ˆ