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02.06.2020

Versuchslabor im ewigen Eis

Jannes Brostean-Kaiser jagt nach Neutrinos am Südpol

Forscher Jannes Brostean-Kaiser

Auch am Südpol kann man nach Teilchen jagen: der "IceCube"-Detektor ist dort ins ewige Eis eingelassen. Doktorand Jannes Brostean-Kaiser arbeitet daran, den Detektor noch effizienter zu machen. Bild: privat

-47°C, Sonne und ergiebige Neutrino-Schauer. So könnte ein Wetterbericht für den Südpol aussehen. Dorthin hat es Jannes Brostean-Kaiser verschlagen, denn er jagt nach Teilchen, die ganz besonders schwer zu fangen sind: Neutrinos. Und am Südpol steht IceCube, der derzeit größte Neutrino-Detektor der Welt. Als Doktorand am Forschungszentrum DESY in Zeuthen entwickelt er neue Messmodule, mit denen IceCube deutlich sensitiver werden soll.

Ende 2019 war er für fünf Wochen mit einem Test-Aufbau am Südpol. Selbst im Sommer steigen die Temperaturen selten über -20°C, die Station liegt knapp 3000 Meter über dem Meeresspiegel und es gibt Schnee soweit das Auge reicht – das Klima am Südpol erfordert eine gewaltige Umstellung. „An den ersten Tagen will man sich eigentlich nur noch hinlegen und schlafen. Alles ist sehr, sehr anstrengend“, erzählt Jannes. Hinzu kommen zwölf Stunden Zeitverschiebung, denn an der Südpolstation gilt neuseeländische Zeit. Nicht zu vergessen die Anreise: erst nach Neuseeland, dann über einen Zwischenstopp an der antarktischen Küste zum Pol – inklusive 20 Kilo Klamotten und Schutzausrüstung, die man gestellt bekommt.

Dass sich Physikerinnen und Physiker ausgerechnet den Südpol als Standort für IceCube ausgesucht haben, hat einen Grund: kubikkilometerweise Eis. Neutrinos wechselwirken sehr, sehr selten. Mehrere Milliarden durchqueren uns in jeder Sekunde, und nur alle paar Jahre wechselwirkt mal eines! Bei so wenig Interaktion braucht man viel Detektormaterial, um die Chance zu erhöhen, dass das Neutrino auf etwas trifft, mit dem es wechselwirkt. IceCube benutzt dafür das Eis des Südpols. Wenn Neutrinos wechselwirken, entstehen geladene Teilchen, die sogenannte Cherenkov-Strahlung aussenden können. Diese Strahlung können hochempfindliche Sensoren messen, die sogenannten Photomultiplier. IceCube besteht aus optischen Modulen (DOMs), in denen diese Photomultiplier verbaut sind. Die DOMs befinden sich an langen Kabelsträngen, die der Stromversorgung und Datenübertragung dienen, bis zu 2,5 Kilometer tief ins Eis hinabgelassen. Insgesamt gibt es 86 solcher Stränge, die zusammen einen etwa einen Kubikkilometer großen, annähernd würfelförmigen Detektor bilden. Daher übrigens auch der Name „IceCube“, das übersetzt Eiswürfel heißt. Für die Messungen ist es entscheidend zu verstehen, wie sich das Cherenkov-Licht im Eis ausbreitet. Genau dafür war Jannes am Südpol.

Jannes war sofort von IceCube begeistert, als er während seines Physikstudiums an der Humboldt-Universität Berlin das erste Mal von dem Detektor gehört hat. Deswegen entschied er sich, seine Bachelorarbeit zu diesem Thema zu schreiben und ist seitdem in der IceCube-Forschungsgruppe geblieben. In seiner Masterarbeit hat der damit begonnen, einen Aufbau zu entwickeln, der bei der Kalibration eines neuen Moduls helfen soll. „Damals war schon klar, dass es in einer Doktorarbeit und bei erfolgreicher Entwicklung auch in einer Messung am Südpol enden wird“, erzählt Jannes. Eine tolle Gelegenheit, wie er findet: „Wer würde nicht zum Südpol fahren, wenn man die Chance dafür bekommt?“

Südpol

Selfie-Spot in der Antarktis: Jannes Brostean-Kaiser am "Zeremoniellen Südpol". Bild: privat.

Der Kalibrationssaufbau sendet UV-Licht aus und detektiert, wie dieses Licht im Eis gestreut wird. UV-Licht deswegen, weil ein Teil der Cherenkov-Strahlung in diesem Wellenlängenbereich liegt. Diesen Teil kann IceCube bisher nicht messen. Doch das soll sich ändern - Dank WOM, dem „Wavelength shifting Optical Module“, das Jannes zusammen mit Kolleginnen und Kollegen gerade entwickelt. Sein Test am Südpol hilft dabei, die Empfindlichkeit des WOM einzuschätzen.

Um das UV-Licht zu messen, wendet das WOM einen Trick an: Die Wellenlänge des UV-Lichts wird von einer Beschichtung in den Bereich des sichtbaren Lichts verschoben, so dass es von Photomultipliern gemessen werden kann. Außerdem sind die neuen Module nicht mehr kugelförmig, sondern lang und schmal, sodass sie in kleineren Bohrlöchern Platz finden "Dadurch sparen wir uns große Kosten, weil das Teuerste an IceCube ist, die Module in das Eis zu bringen, das heißt, die Löcher zu bohren.", erläutert Jannes.

Für seinen Test hat Jannes nicht extra ein neues Loch gebohrt, sondern eines verwendet, das schon da war – den über 1,7 Kilometer tiefen SPICE Core. Er ist mit einem speziellen Öl gefüllt, das selbst bei den tiefsten Temperaturen im Südpol-Winter flüssig bleibt. Gleich zu Beginn ergab sich eine Herausforderung: den SPICE Core in der Eiswüste des Südpols wiederzufinden, denn er war eine Weile nicht benutzt worden. "Das hat uns eine halbe Stunde gekostet." Aber es mache Spaß, mit dem Schneemobil zu fahren. Mit der Zeit gewöhne man sich auch an widrigen Bedingungen des Südpols. „Dann stellt man fest, dass man die dicke Jacke auch mal für eine Viertelstunde ausziehen kann. Das ist zum Arbeiten praktischer.“
Auch wenn die Ausrüstung drei Wochen zu spät kam und Jannes, anders als geplant, Weihnachten am Südpol verbracht hat, war der Test ein Erfolg. Gerade analysiert er die Daten und möchte Ende des Jahres seine Doktorarbeit abgeben. „Dann wissen wir, ob das WOM ein gutes Modul für IceCube ist, oder nicht.“ Falls ja, dann können Physikerinnen und Physiker wie Jannes nach dem IceCube- Upgrade, das für 2022/23 geplant ist, noch besser nach Neutrinos jagen, weil ihnen dann noch weniger entgeht.

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