Das Standardmodell der Teilchenphysik

Physikerinnen und Physiker haben ihre Kenntnisse über die kleinsten Teilchen im so genannten Standardmodell der Teilchenphysik zusammengefasst. Es beschreibt perfekt alle uns bekannten Phänomene des Mikrokosmos und beinhaltet die folgenden Teilchenarten: die Teilchen, aus denen Materie aufgebaut ist (Materieteilchen), und die Wechselwirkungen zwischen ihnen, die ebenfalls über kleine Teilchen ablaufen (Kraftteilchen). Ein weiterer Bestandteil des Standardmodells ist das Higgs-Teilchen, das weder Materie- noch Kraftteilchen ist. Laut Standardmodell verleiht das Higgs-Feld den Elementarteilchen ihre Masse.

Materieteilchen

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Die Bausteine der Materie und die Kräfte, die sie zusammenhalten.
Abbildung: DESY

Alles, was wir sehen – Menschen, Tiere, Pflanzen, Erde und Planeten – besteht aus Materieteilchen. Insgesamt gibt es zwölf Materieteilchen, die in sechs Quarks und sechs Leptonen unterteilt werden. Beide Gruppen bestehen aus Teilchen dreier Familien.

Die Teilchen verschiedener Familien ähneln sich in ihren Eigenschaften, sie unterscheiden sich aber in ihrer Masse voneinander: Die Materieteilchen der zweiten und dritten Familie sind schwerer als die der ersten Familie. Zudem sind die Elementarteilchen der zweiten und dritten Familie instabil, das heißt sie zerfallen in Teilchen der ersten Familie. Die Materieteilchen der zweiten und dritten Familie, die es in der Frühphase unseres Universums in großen Mengen gab, sind im Laufe der Ausdehnung des Universums in ihre leichteren Geschwister zerfallen. Heute besteht die uns umgebende sichtbare Materie ausschließlich aus Teilchen der ersten Familie. Im Grunde bestehen wir also nur aus drei verschiedenen Teilchen: Up-Quarks, Down-Quarks und Elektronen. Teilchen der zweiten und dritten Familie können allerdings in Teilchenbeschleunigern wie dem LHC künstlich für sehr kurze Zeit erzeugt werden, bevor sie wieder in ihre leichteren Familienmitglieder zerfallen. Darüber hinaus entstehen sie häufig in der auf die Erde niedergehenden kosmischen Strahlung.

Protonen und Neutronen, die Bestandteile des Atomkerns, sind aus Quarks aufgebaut. Zu den Quarks der ersten Familie zählen Up- und Down-Quarks. Charm- und Strange-Quarks sind die Quarks der zweiten Familie, und schließlich bilden Top- und Beauty-Quarks die Mitglieder der dritten Familie.

Leptonen der ersten Familie sind das Elektron und das Elektron-Neutrino. Die zweite Familie wird gebildet vom Myon und dem Myon-Neutrino, und die dritte Familie der Leptonen stellen das Tau und das Tau-Neutrino dar.

Kraftteilchen

Zwischen den Materieteilchen herrschen Wechselwirkungen oder Kräfte, die die Materie zusammenhalten. Wäre das nicht der Fall, würde die Welt um uns herum in ihre winzigsten Bestandteile zerfallen. Die Wechselwirkungen, die zwischen Materieteilchen herrschen, sind die elektromagnetische, die schwache und die starke Kraft. Sie entstehen, weil die Materieteilchen winzige Kraftteilchen, so genannte Bosonen, austauschen. Die vierte bekannte Grundkraft, die Gravitation, spielt im Mikrokosmos keine Rolle. Deshalb haben Wissenschaftler zwar einige theoretische Vermutungen, aber bisher keinerlei experimentelle Hinweise, wie eine entsprechende Theorie der Gravitation mit Gravitonen als Kraftteilchen aussehen könnte.

Den Austausch von Teilchen kann man sich etwa so vorstellen wie zwei Menschen (die zwei Materieteilchen repräsentieren) auf einer eisglatten Oberfläche. Stehen sie einander gegenüber und werfen sich einen Ball zu (das Kraftteilchen), so vergrößert sich der Abstand zwischen ihnen, weil der Werfer durch den Schwung seines Wurfes nach hinten gleitet, während der Fänger durch Wucht des Balles ebenfalls nach hinten rutscht. Der Austausch des Balls wirkt sich also auf beide Menschen aus.

Die elektromagnetische Kraft entsteht durch den Austausch von Photonen, aus denen auch das Licht besteht. Zwei negativ geladene Elektronen stoßen sich über den Austausch von Photonen voneinander ab. Da das Photon masselos ist, wirkt die elektromagnetische Kraft über sehr große Reichweiten zwischen geladenen Teilchen.

Die starke Kraft hält die Quarks im Inneren von Protonen und Neutronen zusammen. Hier tauschen die Materieteilchen so genannte Gluonen aus, von denen es acht unterschiedliche gibt. Die starke Wechselwirkung ist die "stärkste" unter den Wechselwirkungen, wie ihr Name schon sagt, ihre effektive Reichweite ist allerdings auf den Atomkern beschränkt.

Die schwache Kraft wirkt auf alle, auch auf elektrisch ungeladene Elementarteilchen. Sie ist beispielsweise für radioaktive Zerfälle verantwortlich und dafür, dass die Sonne scheint. Sie erfolgt über den Austausch von so genannten Z-Bosonen und W-Bosonen. Die Reichweite der schwachen Kraft ist sehr klein, da die sie vermittelnden Austauschteilchen sehr große Masse haben. Die W- und Z-Bosonen wiegen fast 100 Mal soviel wie ein Proton.

Teilchen und ihr Spin im Innern des Protons

Teilchen und ihr Spin im Innern des Protons. Grafik: DESY

Spin

Es gibt also zwei Sorten von Teilchen. Die Materie- und die Kraftteilchen unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt voneinander: dem Spin oder Eigendrehimpuls. Forschende nennen die Materieteilchen Fermionen, diesen wird ein halbzahliger Spin zugewiesen, also beispielsweise ½. Die Kraftteilchen nennen sie Bosonen. Diese haben einen ganzzahligen Spin, also beispielsweise 1. In ihren Eigenschaften unterscheiden sich Fermionen und Bosonen deutlich.

Symmetrien

Tatsächlich ist das Standardmodell den Geheimnissen des Universums noch sehr viel weiter auf die Spur gekommen. Physikerinnen und Physiker haben festgestellt, dass alle Wechselwirkungen durch den Austausch von Kraftteilchen hervorgerufen werden. Sie haben sogar die Ursache für die Existenz der Wechselwirkungen und ihrer Kraftteilchen gefunden: die Symmetrien. Die Materieteilchen erfüllen nämlich drei ganz bestimmte Symmetrien, das heißt bei Veränderungen zu jeder Zeit und an jedem Ort bewahren sie ein gleich bleibendes Erscheinungsbild. Dazu brauchen sie jedoch Helfer. Beim ständigen Hin- und Hersausen zwischen den Materieteilchen erzeugen diese die oben beschriebenen Kraftwirkungen.

Das Higgs

Lange war unklar, woher die Elementarteilchen ihre Masse haben. Die Symmetrien würden dies nämlich eigentlich verbieten. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuteten deshalb, dass die Wechselwirkung der Teilchen mit einem überall vorhandenen Higgs-Feld die Masse erzeugt. Insbesondere erklärt der Higgs-Mechanismus, warum die Kraftteilchen der schwachen Wechselwirkung Masse besitzen, während das Photon masselos ist. Da man das Higgsfeld nicht sehen kann, muss man versuchen, es über seine Schwingungen zu „erfühlen“. Dies geschieht über den Nachweis eines neuen Teilchens, des Higgs-Teilchens. Dieses wurde inzwischen als erste große Entdeckung des Teilchenbeschleunigers LHC entdeckt; nun machen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daran, es genau zu untersuchen.

Ausblick: Erweiterungen des Standardmodells

Das Standardmodell wurde im Wesentlichen in den Jahren 1961-1973 entwickelt. Es ist umfangreich getestet und erforscht worden und beschreibt hervorragend die Bausteine der Welt und ihre Wechselwirkungen. Allerdings gibt es auch eine Reihe offener Fragen, die es nicht beantworten kann.

So berücksichtigt es beispielsweise nicht die Gravitation, die Schwerkraft. Diese spielt auf der Erde für uns Menschen eine große Rolle, ist aber in der Welt der kleinsten Teilchen so schwach, dass sie vernachlässigt werden kann. Bisher ist das Wechselwirkungsteilchen für die Gravitation noch nicht nachgewiesen worden.

Weiterhin besteht etwa ein Viertel des Universums aus Dunkler Materie. Diese Substanz lässt sich nicht mit den Teilchen des Standardmodells erklären. Geeignete Kandidaten für Teilchen, aus denen Dunkle Materie besteht, sind supersymmetrische Teilchen.

Physikerinnen und Physiker auf der ganzen Welt entwickeln das Standardmodell weiter und erweitern es um geeignete Ansätze, die etwa die Gravitation oder Supersymmetrie berücksichtigen, gleichzeitig das Standardmodell aber nicht grundsätzlich über den Haufen werfen.

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