Mehr zum Thema
RSS-Feed
29.09.2020

„Wenn der Beruf das Hobby ist“

Sascha Mehlhase sucht bei ATLAS nach neuer Physik und bringt die Physik zu den Menschen

2019-10-0408-21-42portrait-Sascha_thumbnail.jpg

Sascha Mehlhase (Bild: privat)

Das Video beginnt mit einer weißen Leinwand. Von links und rechts ragen zwei Holzblöcke ins Bild. Kleine Röhrchen auf beiden Blöcken stehen sich gegenüber wie zum Duell bereite Pistolen. Plötzlich zischt es, und dann kommt aus jedem Röhrchen ein massiver Strahl Farbe. In der Mitte treffen die Farbstrahlen aufeinander, interagieren und spritzen bunte Farbkleckse auf eine Leinwand – ein Moment der Jackson-Pollock-Kunst, der gleichzeitig modelliert, wie zwei Teilchen im LHC kollidieren und wie man sie detektiert.

Dieses Kunstprojekt mit dem Titel „Colliding Colour“ ist eine Idee von Sascha Mehlhase. Es ist nicht der einzige Trick, den er im Ärmel hat, um Wissenschaft verständlich zu machen. Der ATLAS-Wissenschaftler, der an der Ludwig-Maximilians-Universität München arbeitet, hat ein Repertoire an Kommunikationswerkzeugen entwickelt, um Teilchenphysik der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Jedes dieser Werkzeuge spricht Bände darüber, wieviel Freude er dabei hat. „Es liegt in der Natur der Sache, Freude an dem zu haben, was man tut, wenn der Beruf das Hobby ist“, sagt er.

EgN1wQXXkAICJxL_thumbnail.jpg

Ein Bespiel von "Colliding Colours": eine echte Weltmaschine-Kollision! (Foto: Sascha Mehlhase)

Sein Beruf und sein Hobby (oder ist es andersrum?) sind die Suche nach langlebigen Teilchen am LHC mit den Daten des ATLAS-Detektors. Langlebige Teilchen sind diejenigen, die aus verschiedenen Gründen nicht zerfallen, bevor sie den Detektor erreichen, und Mehlhase hat 15 Jahre lang bei ATLAS gearbeitet, in der Hoffnung, etwas zu finden, das dem Standardmodell der Teilchenphysik, der extrem präzisen und gut erforschen theoretischen Grundlage seines Forschungszweigs, widerspricht.

„Ich wurde an der Universität von Kopenhagen süchtig danach“, sagt er. Dort verbrachte er ein Erasmus-Jahr als Student, eigentlich, um Biophysik zu studieren. Aber als seine Vorlesungen abgesagt wurden, hat er aus eigenem Interesse ein paar Vorlesungen über Teilchenphysik ausprobiert. Er hat es sofort geliebt. Jahre später, nachdem er an der Humboldt-Universität zu Berlin und bei DESY in Zeuthen promoviert hatte, bekam er ein Angebot, nach Kopenhagen zurückzukehren, um unkonventionelle Signaturen in Beschleuniger-Daten zu untersuchen, und er begann, langlebige Teilchen zu verfolgen. „Man muss anders denken als bei konventionellen Analysen und Signaturen“, sagt er. „Hier hat man es mit seltsamen Untergründen zu tun, die man in ‚normalen‘ Analysen nicht sieht.“ (In der Physik gibt es Untergründe: bei jeder Kollision entstehen auch Signal, die für die Forscher*innen nicht interessant und schwer von den seltenen, spannenden Ereignissen zu unterscheiden sind.)

Guide bei ATLAS

Mehlhase ist auch für seine Touren bei ATLAS bekannt.

In diesen Daten sucht Mehlhase nach Hinweisen auf neue, weitergehende Erklärungen in der Physik, wie etwa die Supersymmetrie. „Wir durchkämmen auf der Suche nach allen möglichen Zeichen neuer Physik.“

Das bedeutet, nach Mustern zu jagen, die andere übersehen, und das ist ein Thema, das in seinen Alltag überschwappt. Ein Blick auf seine Website, die als Sammlung seiner wissenschaftlichen Ergebnisse sowie verschiedener Interessen und Aktivitäten dient, verrät Spiele und Aktivitäten wie ein Teilchen-Twister-Spiel oder das Auffinden von Kennzeichenschildern für Autos.

„Ich bin ein Statistik-Nerd“, sagt er. „Ich mag es, Muster in alltäglichen Dingen zu erkennen und den Überblick zu behalten.“

Und wenn es ihm Spaß macht nach neuen Teilchen und deren Wechselbeziehungen oder in der Freizeit nach fortlaufenden Autokennzeichen zu suchen, eigene Programme wie „Particle Twister“ oder „Bead Collision“ zu entwickeln, dann redet er genauso gerne mit Menschen über seine Arbeit. Während seiner Zeit in Kopenhagen begann er mit etwas, das der dänischen Bevölkerung (und auch dem Rest der Welt) am Herzen liegt: LEGO. Er entwickelte LEGO-Sets, mit denen man Detektormodelle bauen kann, die auch ein Gefühl für die Größe und Komplexität der Experimente vermitteln. Nun werden sie in über 60 Instituten auf der ganzen Welt genutzt.

2011-11-10-10-22-24-atlas-model_thumbnail.jpg

Ein Beispiel des LEGO ATLAS-Modells. (Bild: Sascha Mehlhase)

„Wenn die Leute an Tagen der offenen Tür am Ende eine Stunde länger bleiben, als eine Veranstaltung läuft, und wir ihre Fragen beantworten können, ist das ein großer Erfolg“, sagt er.

Mehlhase ist sicherlich sowohl unermüdlich als auch leidenschaftlich. Ob er nun endlose Datenmengen durchsucht oder neue Instrumente ausprobiert, um der Öffentlichkeit die Wissenschaft zu erklären, er ist immer noch so frisch wie damals, als er in Kopenhagen in die Teilchenphysik einstieg. Seine Freude und die Begeisterung für sein Fach sind greifbar. Kein Wunder, dass das Spielerische auch wieder zurück in sein Berufslaben schwappt: Sascha Mehlhase ist seit über zwei Jahren einer der Koordinatoren für Outreach-Aktivitäten der ATLAS-Kollaboration. Outreach vermittelt Inhalte und Ideen aus der Wissenschaft spielerisch und kreativ an die breite Öffentlichkeit.

„Alles, was ich tue, ist eine Belohnung“, sagt er. „Wir Physiker haben das Privileg, das zu tun, was wir gerne machen, aber auch die Verpflichtung der Gesellschaft etwas zurückzugeben.“

ˆ