Alles über Supersymmetrie
RSS-Feed
30.10.2015

Sargdeckel zu für ein SUSY-Modell

Sargdeckel

Ein wissenschaftlicher Artikel trägt ein Modell der Supersymmetrie zu Grabe: das cMSSM.

Wer seinen Schlüssel sucht und nicht weiß, wo er sein könnte, fängt irgendwann an, systematisch die Orte auszuschließen, an denen sich der Schlüssel nicht befindet. Am Ende bleibt im Idealfall ein Ort übrig und der Schlüssel taucht wieder auf . So ähnlich gehen auch Teilchenphysiker auf der Suche nach neuen Teilchen oder Prozessen vor: sie schließen all das aus, was nicht sein kann. Eine Gruppe Forscher hat jetzt in einem wissenschaftlichen Artikel alle möglichen Verstecke eines beliebten Modells der Supersymmetrie mit großer Sicherheitswahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Der Artikel trägt den passenden Titel „Killing the cMSSM softly“.

In der Teilchenphysik gibt eine fundamentale und seit Jahren auf Herz und Nieren getestete Theorie: das Standardmodell der Teilchenphysik. Es beschreibt alle uns bekannten Teilchen, ihre Eigenschaften und ihre Verhältnisse zueinander sehr präzise.

Allerdings beschreibt das Standardmodell nicht die dunkle Materie, die immerhin rund 20% des Energiehaushalts des Universums ausmacht. Bisher wurden noch keine Teilchen der dunklen Materie entdeckt, und Physiker setzen ihre Hoffnungen in den Large Hadron Collider am CERN und auch eine Reihe von anderen, kleineren Experimenten. Eine Theorie, die sogenannte Supersymmetrie, sagt für jedes Kraft- und Materieteilchen des Standardmodells ein Partnerteilchen vorher. Das leichteste dieser Teilchen könnte so ein gesuchtes Dunkle-Materie-Teilchen sein.

Es gibt verschiedene Modelle für Supersymmetrie (SUSY), und eins davon ist die eingeschränkte minimalsupersymmetrische Erweiterung des Standardmodells (auf englisch abgekürzt cMSSM). Es sagt die minimale Anzahl von Teilchen voraus und schließt mögliche Verstecke von vornherein (ohne dass dort nachgesehen werden müsste) aus. Das ist ungefähr so, als würde man einen verlorenen Schlüssel suchen, aber dafür nicht auf Schränken nachsehen, die höher als zwei Meter sind, weil man davon ausgeht, dass der Schlüssel dort eigentlich nicht sein kann.

„Dieses Modell fängt jetzt an zu knirschen“, sagt Michael Krämer, theoretischer Physiker und Professor an der RWTH Aachen. Er ist einer der Autoren des Artikels über den langsamen Tod des cMSSM, in dem die Wissenschaftler sich die neuesten Kollisionsdaten vom LHC, alle experimentellen Informationen zum Higgs, alte Ergebnisse vom LHC-Vorgänger, Daten vom Planck-Satelliten der europäischen Weltraumagentur ESA und Daten eines amerikanischen Experiments namens G-2 vornehmen. Jeder noch so kleine Fitzel an Information wurde von der zwölf Mann starken deutsch-brasilianisch-amerikanischen Truppe zusammengetragen, überprüft und in die Berechnungen eingesetzt. Dieses Zusammentragen, Einsetzen, Abgleichen und Abhaken ist der Schritt, der dem systematischen Ausschließen von Verstecken entspricht.

Dabei wurden zum allerersten Mal und mit Hilfe von speziellen Rechenmethoden die Qualität und Wahrscheinlichkeit jeder Informationseinheit evaluiert und miteinander abgeglichen. Im Bild des verlorenen Schlüssels wäre das so, als würde jeder mögliche Aufenthaltsort des Schlüssels danach klassifiziert, wie weiter er von dem Ort entfernt liegt, an dem er aus der Tasche fiel: Geht er beim Rennen zum Bus verloren, kann er weit neben dem Weg im Gebüsch liegen. Rutscht er auf dem Sofa aus der Tasche, liegt er wahrscheinlich direkt unter dem Besitzer in der Sofaritze. So kann berechnet werden, wie plausibel es ist, dass der Schlüssel bisher noch nirgends gefunden wurde, wenn es ihn denn gegeben haben sollte. „So eine Art der Betrachtung gab es vorher nicht, es ist der erste große Rundumschlag für das cMSSM – und vermutlich der letzte“, sagt Philip Bechtle, ebenfalls Autor und Forscher an der Universität Bonn.

Das Ergebnis der Untersuchung: innerhalb des vorgegeben Raums bleibt kein Versteck übrig. Ein Grund ist, dass die Messungen vom LHC und vom G-2-Experiment einander ausschließen. Laut G-2, das das magnetische Moment des Myons misst, müsste das leichteste supersymmetrische Teilchen eine Masse von etwa 100 GeV haben. Dies galt den Physikerinnen und Physikern lange als sehr gute Motivation für die Existenz der Supersymmetrie. Jetzt dreht sich der Spiess um: Durch die immer präziseren Messungen und den immer weiteren Blick des LHC zu immer höheren Massen lassen sich die leichten Teilchen im cMSSM nicht mehr damit vereinen, dass SUSY-Teilchen am LHC noch nicht gefunden wurden. „Ohne die Ergebnisse von G-2 lebt das cMSSM-Modell weiter, und natürlich ist es auch möglich, dass sich irgendwo ein Fehler in die Messungen eingeschlichen hat“, sagt Krämer. „Aber das können wir jetzt natürlich nicht einfach annehmen, nur weil unserem Modell die Messung von G-2 nicht mehr passt; unsere Sicherheitswahrscheinlichkeit liegt bei 90 Prozent. Wir machen den Sargdeckel zu für das cMSSM.“

Mit dem Ausschluss des cMSSM ist aber die Theorie der Supersymmetrie noch lange nicht komplett ausgeschlossen. Die Forschergruppe des Killing-cMSSM-solftly-Artikels wird weitersuchen: „Das Modell war wohl doch zu einfach. Jetzt geht die Suche weiter mit Modellen mit mehr freien Parametern“, so Bechtle.

Für Unerschrockene: der wissenschaftliche Artikel.

ˆ