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27.04.2016

Verändert dieser Hubbel die Welt?

Datenhubbel

Ein Ausschlag in den Messdaten sorgt für Aufregung bei Teilchenphysikern. Bild: ATLAS

Physiker denken in Kurven und Graphen. Sie haben ein sehr präzises Theoriekonstrukt, aufgrund dessen sie ihre Berechnungen und auf Simulationen basierende Vorhersagen machen können, um diese dann später mit Daten aus echten Kollisionen vergleichen zu können. Die Vorhersagen und die echten Daten werden in Kurven, sogenannten Plots, dargestellt. Und bei der Analyse der Kollisionsdaten vom Large Hadron Collider LHC vom letzten Jahr tauchte auf einmal ein Hubbel in einer Kurve auf, der bei den Simulationen nicht dagewesen war. Dieser Ausschlag ist im Moment der wohl meistdiskutierte Hubbel in der Welt der Teilchenphysik.

Für die Physiker ist er nicht nur deshalb spannend, weil er nicht vorhergesagt war, sondern auch deshalb, weil die beiden Allround-Detektoren ATLAS und CMS ihn unabhängig voneinander gesehen haben. Allerdings ist der Hubbel noch weit davon entfernt, so eine Entdeckung zu sein wie 2012 das Higgs-Teilchen. Dazu gibt es noch nicht genügend Daten und damit nicht genügend Sicherheit in den Messungen.

Das Stichwort dazu heißt Statistik: Stellen Sie sich vor, sie würfeln bei 10 Würfen 8-Mal hintereinander eine 6. Das ist auffällig, kann aber noch Zufall sein. Erst wenn Sie weiterwürfeln, wird sich herausstellen, ob der Würfel gezinkt ist oder Sie einfach eine kurze Glückssträhne hatten. Genauso ist es mit den Teilchen-Messungen: Gewissheit kann es erst mit mehr Kollisionsdaten, sprich mehr Statistik geben. Der LHC ist nach einer Winter-Wartungspause gerade wieder angelaufen, erste Kollisionen mit hoher Intensität werden in den nächsten Wochen erwartet.

Trotzdem brodelt die Spekulationsküche. Denn ein unvorhergesehenes Teilchen wäre eine Sensation und echtes physikalisches Neuland. Seit der offiziellen Bekanntgabe der Messung um Dezember letzten Jahres ist die Anzahl der wissenschaftlichen Veröffentlichung in die Höhe geschnellt; jeder Theoretiker – die ja auch für die Vorhersagen zuständig sind – will seine Interpretation der Messung mit der Fachwelt teilen. Über 400 Fachartikel beschäftigen sich schon mit dem mysteriösen Hubbel.

Dabei gibt es jede Menge Interpretationen, um was es sich handeln könnte. Die Messung deutet darauf hin, dass es etwas im Energiebereich um 750 GeV (zum Vergleich: das Higgs-Teilchen hat eine Masse von 125 GeV) geben könnte, das in zwei Photonen zerfällt. In der Fachwelt heißt der Hubbel daher auch nicht „Hubbel“ sondern „diphoton resonance“. Einige spekulieren, dass es sich hierbei um ein Teilchen handelt, das nur schwach mit normaler Materie wechselwirkt, ähnliche Eigenschaften wie das Higgs-Teilchen hat und vielleicht sogar ein schwerer Cousin des Higgs Teilchen sein könnte. Andere denken, dass es sich um einen zusammengesetzen Zustand aus mehreren Teilchen handelt, ähnlich wie beispielsweise das Proton sich aus Quarks und Gluonen zusammensetzt, der dann in zwei Photonen zerfällt. Anders als das Proton müsste dieser Zustand allerdings aus exotischen Teilchen bestehen, die nicht im Standardmodell der Teilchenphysik vorhergesagt sind. Sollte der Hubbel sich also bestätigen, deutet alles auf etwas hin, was außerhalb des bekannten Theorierahmens liegt.

ATLASdiphoton

Im ATLAS-Detektor sieht die Messung so aus. Erst mit mehr Kollisionsdaten wird sich zeigen, ob es eine statistische Fluktuation war oder eine Entdeckung wird. Bild: ATLAS / CERN

„Auf jeden Fall kam die Messung total unerwartet und ist sehr spannend“, sagt Kai Schmidt-Hoberg, theoretischer Physiker am Forschungszentrum DESY in Hamburg. „Mit den zwei Photonen haben wir einen Kanal, der leicht zu untersuchen ist – da kann nicht viel schief gehen.“ Für ihn steht fest, dass es nicht einfach ein neues Teilchen sein kann, das man dann zum Standardmodell hinzufügen kann. Damit ließe sich aus theoretischer Sicht nämlich nicht erklären, warum die zwei Photonen aus der Kollision hervorgehen. „Da müsste man noch andere Teilchen finden, um das zu beantworten“, sagt er. Seine Hoffnung ist, dass – wenn der Hubbel bleibt – das Teilchen und seine bisher unentdeckten Verwandten sich in „etwas einbetten lassen, was Sinn macht“. Er und seine Kollegen aus der Theorie werden den weiteren Verlauf der Kurve jedenfalls genau beobachten.

Experimentalphysiker, die sich weniger mit theoretischen Vorhersagen als mit den tatsächlichen Daten aus den Kollisionen beschäftigen, sind ebenso gespannt, was die neuen Daten bringen. „Zuerst müssen wir klären: Bleibt der Hubbel da oder geht er weg?“, sagt DESY-Physikerin Kerstin Tackmann. „Das können wir mit unseren Daten machen, ohne dass wir von der Theorie abhängen.“ Erst wenn geklärt ist, ob der Hubbel größer wird, geht es an den nächsten Schritt. „Dann fangen wir an, die Eigenschaften dieses neuen Dings genau zu untersuchen. Zum Beispiel seinen Eigendrehimpuls, der uns dann sagt, in welche Kategorie von Teilchen wir es einsortieren müssen.“

Beide Wissenschaftler gehen davon aus, dass es mit den neuen Kollisionsdaten aus diesem Jahr und Horden von neugierigen Physikern bereits im Sommer mehr Klarheit darüber geben wird, ob der Ausschlag bleibt oder nicht.

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