Dieser Artikel stammt aus DESYs Forschungsmagazin "femto", Ausgabe 1/2017.
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Wissenschaftler bei SESAME: in der zweiten Jahreshälfte sollen die ersten Experimente beginnen. Bild: CERN
Manchmal braucht es einen Teilchenbeschleuniger, um die Menschen zusammenzubringen.
Was in der internationalen Politik oft nur unter großen Anstrengungen funktioniert, scheint in der Wissen schaft kein großes Problem zu sein: Im Projekt SESAME arbeiten Länder wie Israel, der Iran, die palästinensische Autonomiebehörde, die Türkei und Zypern trotz aller politischer Spannungen partnerschaftlich für ein gemeinsames Ziel. Sie haben in Jordanien ein Forschungszentrum errichtet, das die erste Synchrotronstrahlungsquelle der Region beher bergt. Nach der Eröffnung soll SESAME (Synchrotron-light for Experimental Science and Applications in the Middle East) Wissenschaftlern aus den verschiedensten Forschungsrichtungen ermöglichen, Strukturuntersuchungen mit Röntgenstrahlung zu machen – von der Durchleuchtung neuer Materialien bis zur Analyse von Biomolekülen. So soll die Forschungslandschaft der Region gestärkt werden. Vor allem junge Forscher sollen in der Region gehalten werden, um langfristig Know-how zu binden. Ein zweites, mindestens genauso wichtiges Ziel von SESAME ist es, den Austausch zwischen den Mitgliedsstaaten zu verbessern. „Es geht nicht nur darum, ein Forschungszentrum aufzubauen, sondern es ist ein friedensstiftendes Projekt, in dem viele Nationen zusammenarbeiten. Das beinhaltet viele Hürden, aber auch große Chancen, wenn das Projekt erfolgreich ist“, sagt Wolfgang Eberhardt, Experte für die Forschung mit Photonen, der für Deutschland als Beobachter im SESAME-Rat sitzt.
Der Weg zum fertigen Forschungszentrum war nicht einfach und von manchen Phasen des Still stands geprägt. Die Idee für das Projekt hatten schon 1997 die Forscher Herman Winick vom US-Beschleunigerzentrum SLAC und Gustav-Adolf Voss, damals Beschleunigerdirektor bei DESY. Sie schlugen vor, den Berliner Beschleuniger BESSY I, der durch eine neuere Maschine ersetzt werden sollte, für eine Anlage im Nahen Osten zu spenden. Die Bundesregierung stimmte diesem Plan zu. Mit Unterstützung der UNESCO kam es zur Gründung von SESAME, das 2004 zu einem zwischenstaatlichen Projekt von Jordanien, Israel, dem Iran, Ägypten, Bahrain, der Türkei, Zypern, der palästinensischen Autonomiebehörde und Pakistan wurde. Lange Zeit ging es mit SESAME allerdings nur langsam voran, was vor allem an fehlendem Geld lag.
Seit drei Jahren gibt es große Fortschritte, auch, da durch eine Millionenförderung der Europäischen Kommission ein neuer Speicher ring mitfinanziert und aufgebaut werden konnte. Heute ist SESAME eine Synchrotronstrahlungsquelle der dritten Generation, für die BESSY I in verbesserter Version als Injektor dient. Ende 2016 konnte die Inbetriebnahme der Anlage beginnen, im Januar 2017 lief der erste Elektronenstrahl vollständig durch den Speicherring. In der zweiten Jahreshälfte sollen die Experimente an den beiden ersten Messstationen beginnen, im Laufe der Zeit werden weitere Stationen hinzukommen.
„Viele Kritiker haben die Schwierig keiten für zu groß gehalten und den möglichen Ertrag für zu gering. Wenn jetzt bald die ersten Forschungsergebnisse erscheinen, ist es wirklich eine tolle Sache“, sagt Eberhardt.
Künftig wird ein neuer Vorsitzender den SESAME-Rat leiten, das oberste Entscheidungsgremium: Rolf-Dieter Heuer war lange Jahre Forschungsdirektor bei DESY, bevor er 2009 Generaldirektor des europäischen Teilchenforschungszentrums CERN bei Genf wurde. Heuer wird nun SESAME in die Betriebsphase führen.
„SESAME bietet nicht nur vielfältige wissenschaftliche Möglichkeiten, von der Physik über Lebenswissenschaften bis hin zur Archäologie, einmalig in dieser Region. Diese Forschungsanlage soll auch als Brücke für die Völkerverständigung über politische, kulturelle und religiöse Weltanschauungen dienen – wie einst das CERN nach dem Zweiten Weltkrieg: Naturwissenschaft kennt keine nationalen, politischen oder weltanschaulichen Grenzen. Diese Chance gilt es zu nutzen!“, sagt Heuer.
SESAME soll dabei auch den Austausch mit Ländern in Europa und anderen Regionen stärken. Viele Staaten sitzen als Beobachter im SESAME-Rat und unterstützen das Projekt mit Geld oder durch Maschinen und Expertise, viele europäische Forschungszentren arbeiten eng mit SESAME zusammen. Bei DESY gab es mit Gustav-Adolf Voss von Beginn an einen starken Unterstüt zer des Projekts. „Gustav-Adolf Voss hat sehr dabei geholfen, SESAME strukturell aufzubauen. Es gab mit anderen Instituten zusammen ein umfangreiches CapacityBuilding-Programm, in dem Wissenschaftler und Techniker aus der Region in den Forschungszentren ausgebildet wurden“, sagt Frank Lehner von DESY, der heute die Zusammenarbeit von DESY und SESAME organisiert.
„Mehrere von ihnen kamen Anfang 2000 auch zu DESY.“
SESAME öffne dich! Das internationale Forschungszentrum soll Wissenschaftlern aus der ganzen Region offenstehen. Bild: CERN
Einer davon ist Hossein Delsim Hashemi. Er erforschte kosmische Strahlung an der Sharif University of Technology im Iran, als er 2000 als einer von sieben Iranern zu einem SESAME-Workshop nach Jordanien kam. Er sollte eine Stelle in der SESAME-Injektor-Gruppe bekommen und kam für die Ausbildung zu DESY. „SESAME zeigt, dass die Länder der Region zusammenarbeiten und gemeinsame Ziele verfolgen können. So könnte das Projekt Wissenschaftlern ermöglichen, zusammenzukommen und vielleicht sogar in ihre Heimatländer zurückzukehren. In den beteiligten Ländern gibt es großes Potenzial“, sagt der Iraner, der sich allerdings gewünscht hätte, dass SESAME schon einige Jahre früher die Tore öffnet.
Auch nach der Emeritierung von Gustav-Adolf Voss unterstützt DESY das Projekt auf verschiedenen Wegen. Unter anderem versucht Lehner derzeit, Mittel für eine weitere SESAME-Messstation zu sammeln, die von Deutschland aus finanziert werden könnte. „Wir sollten ein deutliches Zeichen setzen, dass in Deutschland der Wille vorhanden ist, in den Ländern des Nahen Ostens zukunftsweisende Projekte zu schaffen. SESAME ist ein solches Projekt, das in der Region Forschungskapazitäten aufbauen könnte, die nachhaltig dort bleiben“, betont Lehner. Zusätzlich ist DESY gemeinsam mit neun weiteren europäischen Forschungszentren Teil des EU-finanzierten OPEN-SESAME-Projekts, mit dem Wissenschaftler und Personal für SESAME ausgebildet werden sollen.
Aber auch andere Forschungszentren könnten von SESAME lernen. Denn in mindestens einem Bereich könnte das Forschungszentrum schon bald ein Vorreiter sein: Es gibt Pläne, den Stromverbrauch des Speicherrings vollständig durch Solarenergie zu decken. Dafür hat die jordanische Regierung Land ausgewiesen, mit EU-Mitteln werden Photovoltaikanlagen aufgebaut. Zusätzlich wird es eine Kooperation mit den lokalen Stromversorgern geben, die das Problem der Speicherung des Stroms lösen soll. Tagsüber wird überschüssiger Strom ins Netz eingespeist, nachts wird dafür dann Energie aus dem Netz bezogen. SESAME wird damit der erste Beschleuniger sein, der komplett aus nachhaltigen Energiequellen betrieben wird.