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01.03.2018

Fundamentale Fragen – Was ist Zeit?

Einstein_Comic

Die Relativitätstheorie ist anwendbarer als viele denken. Bild: DESY

Der Begriff "Zeit" taucht in vielen Zusammenhängen unseres Alltags auf: Man kann sie als Geschenk betrachten, zählen und mitstoppen, verschlafen oder totschlagen, sie sogar lesen oder Bücher darüber schreiben*.

In der Physik zählt die Zeit zu den grundlegenden Größen. Sie läuft stetig und unaufhaltsam in eine Richtung ab, von der Vergangenheit, die wir erforschen können, in die Zukunft, die offen ist, von der Geburt zum Tod. Die Zeit definiert ein "vorher" und "nachher". Die Menschen teilen sie in Einheiten, die man äußerst genau messen kann; Stunden, Minuten, Sekunden. Legte man früher fest, dass 24 Stunden, also ein Tag, einer Umdrehung der Erde um sich selbst entsprechen, bestimmt man heute die Zeit viel genauer: Eine Sekunde entspricht 9 192 632 770 Perioden der Strahlung des Überganges zwischen den beiden Hyperfeinstruktur-Niveaus des Grundzustandes von Atomen des ElementsCäsium-133.

Ist also die Zeit der absolut universelle Maßstab und läuft unaufhaltsam und immer gleich schnell vom Urknall aus bis heute - tick-tack-tick-tack? Leider ist die Sache bei genauem Betrachten doch etwas komplizierter:
Es fängt damit an, dass es beim Urknall - und erst recht davor - noch keine Zeit gab. Oder besser gesagt: Mit den physikalischen Modellen, mit denen wir die Entstehung und Zusammensetzung des Universums beschreiben, bricht zum Zeitpunkt des Urknalls auch der Zeitbegriff zusammen.

Seit dem Urknall ist die Zeit dann eine wichtige Größe für das Verständnis unserer Welt. Doch obwohl sie als einzigartiger Maßstab erscheint, ist sie seit Einsteins Relativitätstheorie "nur" ein quasi gleichberechtigter Teil unseres physikalischen Modells zur Beschreibung des Universums. Die Relativitätstheorie verknüpft die Zeit eng mit den räumlichen Dimensionen zur "Raumzeit", die in vier gleichberechtigten Dimensionen, drei Raumrichtungen und der Zeit, unser Universum aufspannt.

Für uns ist es natürlich sehr schwer, unseren so gewohnten Unterschied der Wahrnehmung zwischen Raum und Zeit abzulegen und beides als Teil eines Ganzen zu betrachten. Einstein selbst, der gern in Bildern und Gedankenbeispielen arbeitete, machte es an einem einfachen Beispiel deutlich: Wenn zwei Leute sich treffen wollen, hilft es wenig, nur einen Treffpunkt oder eine Zeit auszumachen. Man braucht beides, um wirklich zur selben Zeit am selben Ort zu sein. Damit übernehmen wir quasi automatisch einen Teil der Relativitätstheorie, die Abhängigkeit von Raum und Zeit, in unseren Alltag, ohne es zu merken.

Die nächste verwirrende Eigenschaft der Zeit wird ebenfalls mit der Relativitätstheorie beschrieben: Die Zeit läuft nicht an allen Orten gleichmäßig schnell. Je schneller sich ein System, zum Beispiel ein fliegender Satellit bewegt, umso langsamer läuft dort die Zeit. Diesen Effekt kann man sogar schon in einem Flugzeug messen: Wenn man nach einem Rundflug wieder zu einer gleichzeitig messenden stationären Uhr zurückkommt, stellt man fest, dass die stationäre Uhr schon eine minimal spätere Zeit anzeigt, die Zeit im Flugzeug also langsamer vergeht. Hier könnte man übrigens hervorragend über die Richtigkeit des Sprichworts "Die Zeit vergeht wie im Fluge" nachdenken. Aber zurück zu Einstein: Der Unterschied ist zwar marginal, aber heutige Präzisionsmessungen, beispielsweise für das Satellitennavigationssystem GPS, wären ohne die Berücksichtigung der Relativitätstheorie schier unmöglich. Dazu gibt es noch die "gefühlte Relativität": Wenn Sie diesen Text langweilig finden (und trotzdem noch nicht ausgestiegen sind), kommt Ihnen die Zeit des Lesens unheimlich lang vor. Finden Sie ihn spannend, würden Sie sich wundern, wie lange Sie sich schon mit Physik beschäftigt haben. Zeit ist also auch eine Gefühlssache.

Aber hier wollten wir ja physikalisch bleiben: Eine Besonderheit macht die Zeit wirklich einzigartig: So gut man sich in einem Raum vorwärts und rückwärts bewegen kann, man kann sich - Filme wie "Zurück in die Zukunft" einmal ausgenommen - nicht rückwärts in der Zeit bewegen. Zwar gibt es in der Physik Prozesse, die vorwärts und rückwärts ablaufend gleich aussehen (beispielsweise die Kollision zweier Billardkugeln). Daher spielt für deren Beschreibung die Zeit keine Rolle. Doch bei vielen Prozessen ist es offensichtlich, dass sie nur in einer Richtung ablaufen können - die Sprengung eines Gebäudes zum Beispiel. Was dort geschieht, kann wirklich nicht rückgängig gemacht werden. Für diese Einzigartigkeit ist ein physikalische Größe verantwortlich, die noch viel weniger vorstellbar ist als die Zeit: die Entropie. Aber die stellen wir zu einem späteren Zeitpunkt vor.

*z.B. Stephen Hawking: "Eine kurze Geschichte der Zeit"

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