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29.03.2018

Und was kommt jetzt?

SPS

Techniker beim Einbau einer neuen Komponente in den SPS-Beschleuniger. Bild: CERN

Diese Tage endet für den Large Hadron Collider LHC die Winterpause, während der viele Komponenten inspiziert und überholt wurden. Behutsam werden alle Systeme hochgefahren und getestet, bevor die ersten Teilchen miteinander kollidieren können und die Suche nach neuen Teilchen und Gesetzmäßigkeiten der Natur weitergeht. In den nächsten Jahren wollen die Forscher eine stattliche Menge an Kollisionsdaten produzieren – genug, um weitere Winkel der noch unerforschten Gebiete auszuleuchten. Aber wie lang wird der LHC dafür benötigen? Was plant das CERN für seine Zukunft?

Seit der LHC im Jahr 2009 in Betrieb ging, übertrifft er regelmäßig die Voraussagen zur Datenausbeute. Das erfreut nicht nur die Beschleunigerexperten, die das Beste aus ihrer 27 Kilometer langen Maschine herauskitzeln, sondern auch die Teilchenphysiker, die mit Hilfe der Teilchendetektoren die Kollisionen einfangen und auswerten. Mehr Daten sorgen für mehr Statistik, und höhere Statistik macht besonders seltene Phänomene schneller sichtbar. So wurde zum Beispiel bereits im Jahr 2012 das Higgs-Teilchen gefunden.

Allerdings verschleißen die Detektoren durch die hohe Zahl an Kollisionen auch schnell. Ihre hochempfindlichen Sensoren haben eine begrenzte Lebensdauer, die sich weniger in Jahren rechnen lässt als vielmehr in der Strahlendosis, die sie beim Teilchenregen aus den Kollisionen im LHC abbekommen. Allein im Jahr 2018 wird der LHC vermutlich schon zwei Drittel der für die Detektoren ursprünglich vorgesehenen Kollisionen geliefert haben. „Die Detektoren altern unter der Strahlenbelastung nach Plan, nur der LHC läuft so hervorragend, dass er vielleicht sogar früher als erwartet über das Etappenziel hinausschießt“, erklärt CERN-Forschungsdirektor Eckhard Elsen.


Einige Teile nähern sich bereits jetzt dem Ende ihrer vorgesehenen produktiven Zeit, und damit kein System ungeplant ausfällt und wertvolle Daten dabei verloren gehen, geht der LHC ab Ende 2018 in eine von langer Hand geplante zweijährige Betriebspause. Während dieser Zeit werden einige Detektorsysteme, vorrangig für ALICE und LHCb, ersetzt. Auch werden neue Teile der Beschleunigerkette (Vorbeschleuniger) in Betrieb genommen, so dass die Teilchenintensität erhöht werden kann. Ab 2021 wird die Kollisionsenergie darüber hinaus um ein TeV auf 14 TeV nach weiteren Nachbesserungen im LHC erhöht.

Drei Jahre später, zwischen 2024 und 2026, steht eine noch größere und für Beschleuniger und Detektoren einschneidendere Betriebspause an. Hier werden für ATLAS und CMS komplette Detektorkomponenten ersetzt. Die Wechselwirkungspunkte der Strahlen des LHC bekommen ein stärkeres Fokussierungssystem, so dass bis etwa 2035 die Datenmenge um das Zehnfache anwächst. „Im Jahr 2026 beginnt die nächste Etappe, die Hochluminositätsphase (HL-LHC) des LHC“, so Elsen.

Myonkammern

Henning Keller, Kerstin Hoepfner und Giovanni Mocellin, Forscher der RWTH Aachen präsentieren die ersten Module für den Upgrade des CMS-Detektor-Myonsystems. Bild: RWTH Aachen

Die Teilchendetektoren werden von riesigen Konsortien von Instituten aus der ganzen Welt demokratisch betrieben, und auch Deutschland spielt hier eine große Rolle. Sowohl bei den beiden großen „Allzweckdetektoren“ ATLAS und CMS als auch beim Antimaterie-Experten LHCb sind deutsche Gruppen bei den meisten Projekten an zentraler Stelle dabei. Zum Beispiel bekommen alle drei neue Spurdetektoren, die sehr dicht am Kollisionspunkt sitzen, bei CMS und ATLAS wird zusätzlich neue Elektronik für die Kalorimeter und Myon-Systeme eingebaut.
  
Die vielen Einzelschritte zur Realisierung dieser Großprojekte für HL-LHC werden überwiegend in Universitäten und externen Instituten nacheinander nach einem komplizierten Plan vorbereitet. Die so genannte Endkappe des ATLAS-Spurdetektors zum Beispiel entsteht an neun verschiedenen Instituten, zentral dabei: die Uni Freiburg, DESY und die Humboldt-Uni Berlin. Bei CMS kommen die Bestandteile aus aller Welt, um in Aachen, Karlsruhe, DESY und Nikhef (Amsterdam) zu Modulen verarbeitet zu werden. Diese werden dann in Karlsruhe zu einer Halbscheibe montiert und bei DESY in die Tragestruktur eingesetzt, bevor sie ans CERN umzieht. Am Pixel-Vertex-Detektor, dem kleinsten und vielleicht kompliziertesten der neuen Teile, sind mit Bonn, Dortmund, Göttingen, Heidelberg, dem Max-Plack-Institut für Physik, Siegen und Wuppertal sogar sieben deutsche Gruppen dabei. „Und dabei ist es mit der Hardware noch nicht getan“, betont Christian Zeitnitz, Professor an der Uni Wuppertal und Sprecher der deutschen Teilchenphysik-Gemeinschaft. „Wir entwickeln auch die Software mit, die später die Datenauslese stark vereinheitlichen wird.“ Im Jahr 2024 werden dann alle neuen Komponenten zum Einbau zum CERN wandern.

ATLAS_Sensoren

Ein im Reinraum der Uni Freiburg gefertigtes Siliziummodul für das neue Silizium-Streifendetektorsystem das ATLAS-Detektors. Es besteht aus dem silbernen Siliziumdetektor, auf dem die Datenauslese-Eketronik montiert und mit ca. 4500 dünnen Drähten verbunden ist. Bild: Freiburg

Wie hilft denn aber die erhöhte Kollisionsrate beim Forschen und Entdecken? „Wenn die Maschine uns eine solche Physikernte beschert, kann sich praktisch nichts mehr verstecken“, meint Elsen. Mehr Daten und mehr Statistik bedeuten weniger Zufallsausschläge oder unerforschbare Bereiche in den Analysen. Fragen wie die nach Dunkler Materie sollten durch den Umbau deutlich umzingelt werden. – Selbst, wenn der LHC nichts an neuen fundamentalen Teilchen findet, bringt das die wichtige Erkenntnis für die Teilchenphysiker, dass sie auf andere Art und Weise danach suchen oder ihre Modelle ändern müssen.

Damit ist die (in Teilchenphysik-Skalen nahe) Zukunft klar, aber wohin steuert das CERN und das gesamte Feld der Teilchenphysik in den nächsten 10 bis 20 Jahren? Klarheit darüber soll eine „basisdemokratische“ Bewegung bringen, in die sich jeder Forscher und jede Forscherin einbringen darf: die europäische Strategie zur Teilchenphysik. Sie ist zum ersten Mal im Jahr 2008 veröffentlicht worden und enthält eine Liste von Empfehlungen, die Leitlinien für alle nationalen Pläne in der Wissenschaftspolitik in Europa beeinflussen. Etwa alle fünf bis sieben Jahre wird sie erneuert, in zwei Jahren wird ein Update veröffentlich, für das jetzt bereits die Planungen und Meetings losgehen. Auf diesen Meetings werden Szenarien, Wahrscheinlichkeiten und politisch motivierte Zukunftspläne für Projekte und Anlagen diskutiert, abgewogen und miteinander in Kontext gebracht.

Für diese Strategie sind die Erkenntnisse, die der LHC bringt, von zentraler Bedeutung. Bisher hat der LHC neben der Existenz des Higgs-Teilchens vor allem gezeigt, dass das Theorie-Fundament, auf dem die Teilchenforschung beruht, bombenfest sitzt. Jedwede Abweichung von diesem Fundament, das „Standardmodell der Teilchenphysik“ genannt, wäre eine Sensation; allerdings bleiben diese bisher aus.

„Ja, im Moment deutet sich für LHCb ein Messergebnis an, das einer Riesenüberraschung gleichkäme, wenn es der statistischen Überprüfung standhält. Dann müssten die Theoretiker sich sicher am Kopf kratzen“, verrät Elsen. „Aber bisher fehlt die statistische Signifikanz, so ein Ausschlag in den Ergebnissen kann auch wieder verschwinden, wenn jetzt mehr Daten dazukommen.“ Klar ist: auch Präzisionsmessungen an anderen Teilchenbeschleunigern können hier ergänzende und klärende Ergebnisse liefern.

Zur Diskussion für die Strategie stehen mehrere Szenarien. Man könnte die Kollisionsenergie des LHC mit neuartigen Magneten etwa verdoppeln – der sogenannte High-Energy LHC (HE-LHC). Es gibt Ideen für einen 80 bis 100 Kilometer langen Ringbeschleuniger, den FCC oder Future Circular Collider, der die siebenfache Energie des LHC erreichen sollte. Für Präzisionsphysik, insbesondere mit Hilfe des Higgs-Teilchens, wären lineare Teilchenschleuniger, ILC oder CLIC, die in Japan oder am CERN realisiert werden könnten, wichtig. Für diese Projekte sind Pläne bereits ziemlich gründlich ausgearbeitet, aber nichts ist bisher eindeutig entschieden. Die Erforschung der Neutrinos nimmt gerade in den USA und in Japan groß Fahrt auf, und das CERN beteiligt sich an der Erforschung der mysteriösen Teilchen. Zusätzlich spielen Teilchenphysik-Experimente, die nicht von Teilchenbeschleunigern abhängen, eine große Rolle. Es gibt kleinere Experimente für die Suche nach Dunker Materie in anderen Massenbereichen und mehrere andere kleinere Projekte, die einzelnen Fragestellungen nachgehen. „Wir merken, dass in der Gemeinschaft das Interesse an kleineren Experimenten stark wächst“, erzählt Zeitnitz. Die deutsche Community trifft sich im Mai in Bonn, um an den Empfehlungen aus Deutschland für die europäische Teilchenphysik-Strategie zu feilen.

Aber während sie die Zukunft diskutieren stürzen sich Forscherinnen und Forscher auf die neuen Daten, die der LHC demnächst wieder produzieren wird. Sie haben nur ein Jahr, um neue Erkenntnisse daraus in den Strategieprozess mit aufzunehmen.

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