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ALICE-Studien geben den Blick frei auf Neutronensterne

Ein Team um Professorin Laura Fabbietti von der TU München untersucht Kollisionen im ALICE-Detektor mit besonderem Augenmerk auf die starke Wechselwirkung

Die ALICE-Kollaboration veröffentlicht heute einen Artikel in der Fachzeitschrift „Nature“, in dem eine neue Methode zur Untersuchung der Wechselwirkung zwischen Hadronen am Large Hadron Collider (LHC) beschrieben ist. Dieses Papier öffnet die Tür zu hochpräzisen Studien der starken Wechselwirkung, eine der vier fundamentalen Wechselwirkungen, an deren Ende Physiker die Frage nach der inneren Zusammensetzung von Neutronensternen beantworten könnten. Geleitet werden die Studien von Laura Fabbietti, Professorin an der Technischen Universität München, und ihrer Forschungsgruppe.

Mysteriöse Neutronensterne

Ein Video der TU München

Hadronen sind Teilchen, die aus zwei oder drei Quarks zusammengesetzt sind. Ihre bekanntesten Vertreter sind Neutronen und Protonen, die ausschließlich aus den beiden Quarksorten „up“ und „down“ aufgebaut sind. Zusammengehalten werden sie durch die starke Wechselwirkung, eine der vier fundamentalen Kräfte der Physik, die das Zusammenspiel der Teilchen im Universum bestimmen. Die starke Wechselwirkung wird durch ein Botenteilchen, das „Gluon“ vermittelt. Sie wirkt darüber hinaus auch zwischen Hadronen selbst und verbindet beispielsweise Protonen und Neutronen zu Atomkernen. Doch die Natur hält mehr Quarks bereit als „up“- und „down“-Quarks: Es gibt noch vier weitere Sorten, aus denen ebenfalls Hadronen gebildet werden können. Es ist eine der größten Herausforderungen der heutigen Kernphysik, die Interaktion zwischen Hadronen anhand der enthaltenen Quarks und Gluonen zu verstehen. Man spricht auch von „first principles“, da man ausschließlich fundamentale (also nicht aus mehreren Bestandteilen zusammengesetzte) Teilchen berücksichtigt.

Mit der so genannten „Gitter-QCD“ Methode ist es möglich, diese Interaktionen basierend auf first principles zu bestimmen. Diese Rechnungen liefern jedoch erst verlässliche Ergebnisse, wenn auch Quarks im Spiel sind, die schwerer sind als „up“ und „down“, wie zum Beispiel das „strange“-Quark. Hadronen bestehend aus drei Quarks und mit mindestens einem solchen strange Quark nennt man Hyperonen. Sie sind instabil und zerfallen sehr schnell in leichtere Hadronen. Daher war es bis jetzt nicht möglich die präzisen Berechnungen mit experimentellen Ergebnissen zu vergleichen.

Bis jetzt. Die Forscherinnen und Forscher von ALICE, einem der vier Experimente am LHC, nutzen die „Femtoskopie“-Methode, um Hyperonen zu untersuchen. Femtoskopie basiert auf der Messung des Impulsunterschiedes zweier Teilchen, um ihre Wechselwirkung zu bestimmen. Ihren Namen verdankt die Methode der Längenskala von nahezu einem Femtometer (10-15m), auf der sich die Interaktion abspielt. Das ist auch die Größenordnung eines einzelnen Hadrons. „Unsere neue Messung erlaubt einen Vergleich mit Berechnungen der Gitter-QCD und bietet eine solide Testumgebung für weitere theoretische Arbeiten“, sagt Luciano Musa, Sprecher der ALICE -Kollaboration.

„Der LHC kann Hadronen mit strange Quarks in Fülle produzieren. Die exzellenten Fähigkeiten des ALICE-Detektors bei der Identifizierung der Teilchen und bei der Messung ihres Impulses spielen dabei eine zentrale Rolle“, sagt Laura Fabbietti. Die Methode hat es dem ALICE-Team beispielsweise zuvor erlaubt, Wechselwirkungen der Lambda-, Sigma- und Xi- Hyperonen (Lambda und Sigma: ein strange-, up- und down-Quark, Xi: 2x strange, up oder down) zu studieren. In der aktuellen Arbeit nutzte die Gruppe die Methode, um die Wechselwirkung zwischen einem Proton und dem schwersten Hyperon zu beleuchten, dem „Omega“, bestehend aus drei strange-Quarks. Mit erhöhter Kollisionsenergie und einem Upgrade der Spurendriftkammer (TPC), dem zentralen Detektor des ALICE-Experiments, erhofft sich die Kollaboration mit dem neuen Run des LHC im Frühjahr 2022 erneut große Fortschritte. „Daten vom nächsten Run des LHC sollten uns Zugang zu allen Hadronenpaaren geben. Damit hat ALICE einen neuen Weg für die Kernphysik am LHC geebnet, der alle Quarktypen beinhaltet“, sagt Musa.

Den Neutronensternen auf der Spur

Künstlerische Darstellung einer Kollision im ALICE-Detektor

Künstlerische Darstellung einer Reaktion eines Hyperons mit einem Proton im ALICE-Detektor. Bild: CERN, Daniel Dominguez

„Die präzise Bestimmung der starken Wechselwirkung für alle Hyperonen war unerwartet“, sagt Laura Fabbietti weiter. „Wir wollen noch einen Schritt weiter als die Paarwechselwirkung gehen und auch die Interaktionen zwischen drei Hadronen messen.“ Denn beides hat über die Überprüfungen theoretischer Berechnungen hinaus eine große Bedeutung, insbesondere für das Verständnis von Neutronensternen. Diese sind die Überbleibsel massiver Sterne, nachdem sie in einer Supernova explodiert sind. Aufgrund ihrer enormen Dichten vermutet man, dass sich Hyperonen in ihrem Inneren stabil bilden können. Harald Appelshsäuser. Professor an der Goethe-Universität Frankfurt, leitet seit zehn Jahren das ALICE-TPC-Projekt. Er arbeitet eng mit der Münchener Gruppe von Laura Fabbietti zusammen und ist Mitautor der Veröffentlichung. Er betont: „Femtoskopische Untersuchungen können unser Verständnis von sehr dichten stellaren Objekten wie Neutronensternen wesentlich erweitern.“

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