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28.08.2020

Nachweis für einen neuen Higgs-Zerfall

Zerfallsschema im Detektor

Deutlich zu erkennen: die zwei durch rote Linien gekennzeichneten Myonen, die nach der Kollision von zwei Protonen durch den CMS-Detektor fliegen. Bild: CMS/CERN

Experimente am Large Hadron Collider haben den ersten experimentellen Nachweis dafür erbracht, dass das Higgs-Teilchen auch mit Myonen interagiert. Das Ergebnis ist statistisch gesehen noch keine Entdeckung, aber ein Hinweis auf einen sehr seltenen Prozesses ist es allemal. Dieser Prozess wirft mehr Licht auf das Verhalten des Higgs-Feldes, denn die Wechselwirkung ist die erste Instanz von experimentellen Ergebnissen, die die Beziehung des Higgs-Feldes zur der zweiten Generation von Teilchen im Standardmodell zeigt - sie nähert sich der ersten Generation, die die Materie ausmacht. Materieteilchen werden traditionell in drei Generationen aufgeteilt: aus den Teilchen der ersten Generation besteht alle normale Materie, sie zerfallen nicht. Die Teilchen der zweiten und dritten Generation sind schwerer und instabil, zerfallen also schnell in Teilchen der ersten Generation.

Durch die Wechselwirkung mit dem Higgs-Feld, dessen „Botenteilchen“ das Higgs-Teilchen ist, bekommen Elementarteilchen ihre Masse. Je größer die Masse eines bestimmten Teilchens ist, desto stärker ist die Wechselwirkung mit dem Higgs-Feld und damit auch die Zerfallsrate des Higgs in dieses Teilchen. Das Higgs-Teilchen wurde im Jahr 2012 anhand seiner Zerfälle in zwei Z-Bosonen beziehungsweise zwei Photonen entdeckt (wobei letzterer indirekt über eine Wechselwirkung mit schweren Quarks abläuft). Seitdem haben die Experimente ATLAS und CMS den Zerfall des Higgs-Teilchens in verschiedene Arten von Bosonen wie W und Z sowie in schwerere Fermionen wie Tau-Leptonen beobachtet. Die Wechselwirkung mit den schwersten Quarks, den Top- und Bottom-Quarks, wurde zum ersten Mal 2018 beobachtet. Myonen sind im Vergleich dazu viel leichter und ihre Wechselwirkung mit dem Higgs-Feld ist schwächer, daher sind Myonen-Zerfälle viel seltener.

„Das neue Ergebnis liefert also den ersten Nachweis, dass das Higgs-Feld, das den Teilchen ihre Masse verleiht, nicht nur an sehr massiven, sondern auch an leichtere Teilchen der zweiten Generation koppelt“, sagt Oliver Rieger von der Universität Hamburg, der mit seiner Doktorarbeit zu diesen Ergebnissen im Rahmen der CMS-Analysen beitrug.

Die neue Kopplung wurde bei CMS durch ein Myon-Antimyon-Paar nachgewiesen. Auch ATLAS hat den Zerfall untersucht. Da das Higgs-Feld keine elektrische Ladung hat, dürfen die Teilchen, in die es zerfällt, auch keine kumulative Ladung haben, d.h. es müssen Teilchen-Antiteilchen-Paare sein, deren Ladungen einander aufheben.

Die im Rahmen des Standardmodells der Teilchenphysik vorhergesagte Kopplung der zweiten Generation an das Higgs-Teilchen ist so selten, dass im gesamten Lauf des LHC seit 2016 nur etwa einige hundert bis tausend Zerfälle eines Higgs in ein Myon-Anti-Myon-Paar am CMS Experiment aufgezeichnet werden konnten – eine sehr kleine Zahl im Vergleich zu den Hunderten von Milliarden von Kollisionen, die der LHC produziert. Um den „Nachweis“ zur „Entdeckung“ zu machen, benötigen die Experimente mehr Daten, was die bevorstehende Aufrüstung zum High-Luminosity LHC liefern kann.

Aber wenn Sie jetzt gespannt auf eine Higgs-Kopplung mit Teilchen der ersten Generation warten, müssen Sie sich leider noch etwas gedulden. Denn dieser Prozess ist durch die 200 Mal kleinere Masse der Elektronen im Vergleich zu den Myonen wiederum sehr viel seltener als eine Kopplung der zweiten Generation. Diese geringe Zerfallswahrscheinlichkeit macht es unmöglich, den Zerfall des Higgs-Teilchens zu Elektronen am LHC zu beobachten. Dies würde eine andere Art von Beschleuniger erfordern, die z.B. Teilchen mit Energien zur Kollision bringen könnte, die der Masse der Higgs entsprechen, um so die Produktionsrate von Higgs-Teilchen stark zu steigern. Nichtsdestotrotz bestärkt dieses neuste Ergebnis den Fall, dass das Higgs tatsächlich für die Masse der Materie verantwortlich ist.

„Dieser Beweis für den Zerfall des Higgs-Teilchens in Materieteilchen der zweiten Generation ergänzt ein sehr erfolgreiches Higgs-Physikprogramm am LHC“, sagt Karl Jakobs, ATLAS-Sprecher und Professor für Physik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. „Die Messungen der Eigenschaften des Higgs-Teilchens haben eine neue Stufe der Präzision erreicht, und seltene Zerfallsmodi können angegangen werden.“

„Wir haben den ersten Schritt zu einer Beobachtung dieses Phänomens geschafft“, sagt Doktorand und CMS-Datenanalyst Rieger. „Wir sind stolz darauf, den ersten Nachweis dieses Zerfalls erbracht zu haben.“

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