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    Alle Beiträge aus der Reihe „60 Jahre CERN".
Aus der Reihe „Stolpersteine auf dem Weg zum LHC
Aus der Reihe „Stolpersteine auf dem Weg zum LHC"

Ministerialdirektor a.D. Hermann Schunck, ehemaliger Mitarbeiter des Forschungsministeriums und ehemaliger deutscher Delegierter im CERN-Rat, erzählt seine eigene Geschichte der Entwicklung des Large Hadron Collider. Er erinnert sich an Finanzierungsengpässe, die Wiedervereinigung und die besondere Atmosphäre im CERN-Rat und schildert so Physikgeschichte aus Politikersicht - "Stolpersteine und Meilensteine" in fünf Teilen. Dieser Text erscheint demnächst im Springer-Verlag in dem Sammelband "Großforschung in neuen Dimensionen". Alle Teile der Serie:

Einleitung

Teil 1: CERN und sein Budget

Teil 3: Die Wiedervereinigung und der LHC

Teil 4: Es geht los

Teil 5: Krise und Neuanfang

Aus der Reihe „60 Jahre CERN
Aus der Reihe „60 Jahre CERN"
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05.11.2014

Stolpersteine und Meilensteine: Der mühevolle Weg zum Large Hadron Collider

Teil 2: Die Ausgangslage

1989 Riesenhuber am CERN

Der damalige Forschungsdirektor Heinz Riesenhuber besuchte im November 1989 den LEP-Tunnel. (Bild: CERN)

Mein erster halbwegs ernster Kontakt mit dem LHC-Projekt fand im Herbst 1989 statt. Wir durften im Forschungsministerium einen Redebeitrag für unseren Minister Heinz Riesenhuber zur Einweihung des Large Electron Positron Colliders LEP vorbereiten. Carlo Rubbia, der damalige Generaldirektor, beschwor uns, die Rede unseres Ministers sei doch eine einmalige Gelegenheit, das nächste Großprojekt von CERN, eben den LHC, anzukündigen. Wir mussten ihn enttäuschen, denn wir kannten unseren Minister viel zu gut; er liebte es, Entscheidungen gründlich, mit Liebe zum Detail und ohne Zeitdruck vorzubereiten. Der Versuch, ihm so eine Ankündigung einfach unterzujubeln, wäre weder uns noch dem Projekt gut bekommen.

Carlo Rubbia hat noch häufig versucht, den Mitgliedern der deutschen Delegation mit persönlichem Nachhilfeunterricht auf die Sprünge zu helfen. Er war ein temperamentvoller und zeitweilig unermüdlicher Werber für den LHC. Im letzten Jahr seiner Amtszeit als Generaldirektor überließ er die Überzeugungsarbeit gegenüber Wissenschaft wie Politik allerdings zunehmend seinem bereits gewählten Nachfolger Chris Llewellyn Smith.
 
Bereits während des Baus des LEP gab es detaillierte Studien über ein neues Projekt am CERN. Die Überlegungen konzentrierten sich rasch auf die Nutzung des für LEP gebauten Tunnels für einen Proton-Proton-Collider mit einer Kollisionsenergie von 14 Tera-Elektronvolt (TeV). Bereits seit 1984 wurden mehrere Workshops organisiert, die Vorarbeiten für den LHC anstießen; insbesondere wurde die technische Machbarkeit des Beschleunigerkonzeptes mit supraleitenden Magneten und supraleitenden Hohlraumresonatoren untersucht.

CERN nahm bei der Planung des LHC bewusst in Kauf, in Konkurrenz zu dem in den USA ab 1991 im Bau befindlichen Superconducting Supercollider (SSC) zu stehen, der einen erheblich größeren Umfang und entsprechend höhere Kollisionsenergie von 40 TeV haben sollte; „Luminosität (Kollisionsrate) schlägt Energie“ war das Motto von Carlo Rubbia. Die Konkurrenz zwischen diesen beiden Projekten hätte das kleinere Projekt – eben den LHC – leicht zum Stolpern bringen können. Erst als das SSC-Projekt 1993 politisch scheiterte, war klar, dass ein CERN-Projekt wie der LHC einzigartige Entdeckungschancen haben würde, insbesondere die damaligen Leerstellen des Standard-Modells der Teilchenphysik auszufüllen (Top-Quark und Higgs-Teilchen), aber auch die Suche nach supersymmetrischen Teilchen oder dem Quark-Gluon-Plasma. Das mag im Nachhinein, vor allem nach der spektakulären Entdeckung des Higgs, fast selbstverständlich sein. Ich erinnere mich aber durchaus an Investitionen auf Grund von seinerzeit eigentlich überzeugenden Prognosen, die dann nicht eintraten. Wir haben auch Glück gehabt, die Wissenschaft ebenso wie der Rat.

CERN-Rat

Eine Sitzung des CERN-Rats im Jahr 1990. Links: Carlo Rubbia, CERN-Generaldirektor von 1989 bis 1993, und Ratspräsident Josef Rembser vom deutschen Forschungsministerium. (Bild: CERN)

Auf dem Weg zu einer endgültigen Entscheidung für den Bau des LHC gab es verschiedene Meilensteine und eben auch Stolpersteine. Ende 1991 erklärte der Rat von CERN, „dass der LHC die richtige Maschine für den Fortschritt des Themas und der Zukunft des CERN ist”. Der Generaldirektor wurde beauftragte, innerhalb von zwei Jahren Entscheidungsunterlagen für einen endgültigen Beschluss zu erarbeiten. Es gab eine erste zusammenfassende technische Beschreibung des Projektes; man hoffte auf eine Aufnahme des wissenschaftlichen Betriebes 1999/2000. Generaldirektor Rubbia ging von Baukosten von insgesamt 2 Milliarden Schweizer Franken aus (in 1991er Preisen); etwa 20% dieser Summe sollten durch zusätzliche Beiträge von Nicht-Mitgliedsstaaten aufgebracht werden.

Ein endgültiger Technical Design Report des LHC wurde erst im Herbst 1995 verabschiedet – eigentlich eine zwingende Voraussetzung einer Bauentscheidung für ein Gerät wie den LHC. Erst 1998 war eine vollständige Teststrecke endgültig aufgebaut und betrieben worden, die kleinste Einheit von Komponenten und Systemen, aus denen der Beschleuniger modular zusammengesetzt werden sollte. Carlo Rubbia hatte mehrfach versichert, er werde den Rat erst um Zustimmung zum Bau des LHC bitten, wenn die Teststrecke die Machbarkeit des technischen Konzeptes endgültig demonstriert hätte.

Tatsächlich gab der CERN-Rat bereits deutlich vorher, Ende 1994, grundsätzlich grünes Licht für den Bau des LHC. Mit diesem Ratsbeschluss wurde der LHC in das sogenannte Basisprogramm von CERN aufgenommen. Die Haltung der deutschen Delegation war dabei etwas zögerlich, denn Deutschland war vor allem daran interessiert, die eigenen Beiträge zu beschränken und einen Abstimmungsmodus einzuführen, der es schwer machte, Deutschland im Rat zu überstimmen.

Die Grundlagen für den Baubeschluss waren keineswegs sicher und eindeutig; Direktion und Rat gingen bewusst ein hohes Risiko ein - „planning for success“ nannte man das damals. Die ursprüngliche Kostenschätzung lag 1994 bei 2,4 Milliarden Schweizer Franken (Preisstand 1993, ohne interne Personalkosten). 1994 war aus finanziellen Gründen vorgesehen, den LHC in zwei Stufen zu bauen, zuerst mit einer Kollisionsenergie von 10 TeV bis 2004 (nach dem sogenannten „missing magnet“-Konzept: jeder dritte Dipolmagnet sollte zunächst nicht in den Ring eingebaut werden), ab 2008 dann mit der endgültigen Energie von 14 TeV.

Weiter zu Teil 3.

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