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10.11.2020

Mehr zwischen Himmel und Erde...

LHCb-Detektor sieht Vorgänge, die Hinweise darauf geben, wo das Standardmodell klemmt

Student vor Teilchendetektor

Vorn: David Gerick, hinten: der LHCb-Detektor. Hier forscht der Doktorand von der Uni Heidelberg an Dingen, die nicht ins Modell passen. Bild: privat

Das Standardmodell der Teilchenphysik ist die Grundlage für jedes Verständnis von Teilchenkollisionen. Es beschreibt sehr genau die Eigenschaften und Verhaltensweisen der verschiedenen Teilchen – manchmal mit mehr, manchmal mit weniger Variablen –, und Physiker*innen überprüfen diese Beschreibungen und Vorhersagen mit Hilfe der Daten von Teilchenkollisionen. Eine Forschungsgruppe von der Uni Heidelberg, die am LHCb-Detektor arbeitet, hat jetzt etwas gesehen, das nicht ins Bild passt und erfordert das Standardmodell zu erweitern. Noch ist die Beobachtung nicht eindeutig. Aber wenn zukünftige Daten das gleiche Ergebnis bringen, wäre das ein wissenschaftlicher Erdrutsch, weil zum ersten Mal im Labor aufgezeigt wurde, wo das aktuelle Modell nicht passt.

LHCb hat sich auf die Studie von Teilchen, die ein beauty-Quark beinhalten, spezialisiert. Damit wollen die Forscher*innen nach neuen Phänomenen suchen, die derzeit nicht im Standardmodell beschrieben sind. Ein solches Teilchen namens B+ hat sich David Gerick von der Uni Heidelberg für seine Doktorarbeit genauer angesehen.

Teilchen-Event

So sieht es aus, wenn ein B0-Teilchen im LHCb-Detektor zerfällt. Bild: CERN/LHCb Collaboration

Weil das B+-Teilchen so schnell zerfällt, ist es aber nicht einfach nur ein Teilchen, sondern gleich fünf, die der Doktorand sich ansehen musste. Das B+ (zusammengesetzt aus einem up-Quark und einem beauty-Antiquark) zerfällt nämlich in ein angeregtes Kaon-Teilchen (zusammengesetzt aus einen strange-Quark und einem weiteren Quark) und zwei Myonen, das angeregte Kaon dann weiter in letztendlich drei Pionen. Wichtig sind hierbei auch die Winkel zwischen den Bahnen der aus der Kollisionen fliegenden Teilchen, weil sie Aufschluss darüber geben, wie die Teilchen miteinander reagieren. „Ich habe in der Analyse tatsächlich viel Trigonometrie gemacht“, sagt Gerick. „Manche Winkel mussten wir noch einmal gedanklich und mathematisch falten.“ Seine Beobachtung: hier ist etwas nicht so, wie es im Standardmodell vorhergesagt wird.

Seine Beobachtungen erweitern und bestätigen Messungen, die vorher an LHCb mit einem anderen Teilchen, dem B0, gemacht wurden. Die gleiche Abweichungen in zwei unterschiedlichen B-Teilchen – da erhärtet sich der Verdacht, dass das Standardmodell hier wirklich klemmt. Gericks Messung könnte mit 3,1 sigma aber noch eine Fluktuation sein. Erst wenn die magische 5-sigma-Grenze überschritten wird, ist es eine Entdeckung – „das erste Mal, dass wir im Labor gesehen haben, wo das Standardmodell klemmt“, ergänzt Gericks Professorin Stephanie Hansmann-Menzemer.

Und was bedeutet die Beobachtung? Ist es ein neues Teilchen? Muss die Physik umdenken? Gerick ist da ganz nüchtern: „Wir messen das erstmal und bemerken dann die Abweichung. Um zu erklären was es ist, was wir beobachten, sind Theoretiker*innen die besseren Ansprechpartner.“ Eine mögliche Erklärung wären neue Teilchen in sogenannte Quantenkorrekturen. In einer solchen Quantenkorrektur können Teilchen das Geschehen in der Kollision und den Kollisionsprodukten beeinflussen, ohne selbst in Erscheinung zu treten. Die Interpretation liegt jetzt wieder bei den Theoretiker*innen, die den „Suchauftrag“ gegeben haben. „Das ist ja das Spannende in der Physik: Theoretiker und Experimentatoren arbeiten Hand in Hand“, sagt Gerick.

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