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08.05.2023

Mit Tau-Leptonen der Supersymmetrie auf der Spur

Darstellung eines Kollisionsevents im Teilchendetektor CMS

CMS-Event. Die gelben Kegel sind Tau-Leptonen, die orangefarbenen Kegel sind b-Quarks. Bild: CMS / CERN

Das Standardmodell der Teilchenphysik ist die bisher erfolgreichste Theorie zur Beschreibung des Verhaltens der Elementarteilchen und ihrer Wechselwirkungen. Es hat allerdings einige schwerwiegende Lücken – zum Beispiel das Problem der Masse des Higgs-Teilchens. Die im Rahmen des Standardmodells berechnete Masse des Higgs-Teilchens kann aufgrund bestimmter Effekte, Quantenfluktuationen genannt, irgendeinen willkürlichen Wert haben. Die Experimente ATLAS und CMS haben jedoch einen Wert von 125 GeV gemessen. Woher kommt diese Diskrepanz? Forschende denken, dass sie möglicherweise durch Supersymmetrie behoben werden kann – eine Erweiterung der Theorie, die die bekannten Standardmodell-Teilchen durch supersymmetrische Gegenstücke ergänzt. Die Wechselwirkungen der hypothetischen SUSY-Teilchen mit dem Higgs-Teilchen schwächen das Massenproblem ab. Supersymmetrie hat noch etwas anderes in petto: Teilchen, die die dunkle Materie erklären könnten. Da das Higgs hauptsächlich mit massereichen Teilchen wechselwirkt, spielen das schwerste bekannte Teilchen, das Top-Quark und sein hypothetisches supersymmetrisches Partnerteilchen (Top-Squark), eine zentrale Rolle bei der Lösung des Massenproblems. Daher suchen Wissenschaftler:innen auch nach dem bisher unentdeckten Top-Squark auf alle möglichen Arten, um sicherzustellen, dass sie nichts übersehen.

Die Massen der SUSY-Teilchen sind ebenso wie verschiedene andere Parameter der Theorie unbekannt und müssen experimentell bestimmt werden. Da sie in einem großen Bereich liegen können, kann die Produktion massereicher SUSY-Teilchen in Proton-Proton-Kollisionen zu einer Vielzahl von experimentellen Signaturen führen, die sich aus ihren Zerfallsprodukten ergeben. In dieser Studie haben Forschende des CMS-Experimentes unter Federführung von einem Team vom Forschungszentrum DESY in Hamburg, Szenarien untersucht, in denen das Top-Squark einen Kaskadenzerfall durchläuft, der ein Bottom-Quark (b), ein Tau-Lepton (𝜏), ein Neutrino (𝜈) und ein Neutralino erzeugt. Das Neutralino wird als das leichteste Superteilchen angesehen und könnte ein Kandidat für dunkle Materie sein. Dieser SUSY-Prozess (das "Signal") ist ziemlich einzigartig und spiegelt eine bestimmte Art der Konfiguration der SUSY-Parameter wider.

Man erkennt das Signal an den zwei Bottom-Quarks und zwei Tau-Leptonen. Das Bottom-Quark erzeugt einen Strahl von Hadronen, einen sogenannten Jet. Hinzu kommt eine große Menge an fehlendem Impuls, da die Neutrinos und Neutralinos nicht mit dem Detektor wechselwirken und unerkannt entkommen. Das Tau-Lepton zerfällt in Hadronen (65 % der Zeit) oder in ein Elektron oder ein Myon (die restlichen 35 %). Je nach Art des Tau-Zerfalls werden verschiedene Suchkategorien in Betracht gezogen: die vollhadronische Kategorie, bei der beide Tau-Leptonen in Hadronen zerfallen, und die semileptonische Kategorie, bei der ein Tau-Lepton in ein Elektron oder ein Myon und das andere in Hadronen zerfällt. Diese Hadronen bilden ebenfalls einen Jet. Die Identifizierung von Jets, die von Bottom-Quarks und hadronisch zerfallenden Taus erzeugt werden, ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe am LHC. Zu diesem Zweck werden ausgefeilte Machine-Learning-Techniken eingesetzt, um die Rate der falsch-positiven Ergebnisse zu minimieren.

Wie so oft kämpft auch diese Suche gegen den „Untergrund“ – Nachahmer, die zu ähnlichen Endzuständen führen und das Verhalten des Signals imitieren. Solche Nachahmer sind zum Beispiel der Beitrag der Paarproduktion von Top-Quarks oder falsch identifizierte hadronische Taus. Diese Untergründe können im Prinzip durch Simulationen ermittelt werden, aber selbst die besten Simulationen haben Mängel, die sie für diese Suche ungeeignet machen. Um dieses Problem zu umgehen, schätzen die Forschenden die Untergründe direkt aus den gemessenen Daten.

Um die Signalempfindlichkeit zu maximieren, wurden drei Variablen ausgewählt, um zwischen den Signal- und Untergrundprozessen zu unterscheiden. Diese Variablen werden verwendet, um den Hintergrundbeitrag deutlich zu unterdrücken, so dass es einfacher ist, den potenziellen Beitrag des Signalprozesses zu erkennen. Die drei Variablen sind empfindlich gegenüber der gesamten sichtbaren Energie und dem fehlenden Impuls im Prozess, zusammen mit bestimmten anderen Eigenschaften des oben erwähnten Kaskadenzerfalls. Mit Hilfe dieser Variablen definieren die Wissenschaftler:innen fünfzehn „Bins“, die dazu beitragen, verschiedene Hypothesen für die Top-Squark- und Neutralino-Massen zu untersuchen. In jedem Bereich wird die gemessene Anzahl von Ereignissen mit der vorhergesagten Anzahl von Hintergrundereignissen verglichen. Wenn sie mit der Signalvorhersage übereinstimmen, würden signifikante Abweichungen zwischen der Hintergrundvorhersage und der Beobachtung auf das Vorhandensein von Supersymmetrie hinweisen.

„Bisher haben wir keine derartige Abweichung beobachtet“, erzählt der DESY-Postdoc Soham Bhattacharya. „Das Fehlen einer Diskrepanz kann jedoch in eine nützliche Schlussfolgerung umgewandelt werden: Wir können die Ergebnisse interpretieren, um abzuleiten, welche hypothetischen Werte der Massen von Top-Squarks und Neutralinos ausgeschlossen werden können.“

Aus dieser Suche können Top-Squark-Massen bis zu 1150 GeV ausgeschlossen werden, wenn die Neutralino-Masse 1 GeV beträgt, und Neutralino-Massen bis zu 450 GeV, wenn die Top-Squark-Masse 900 GeV beträgt. Denn auch zu wissen, wo SUSY nicht ist, ist wichtig für die Gestaltung zukünftiger Suchen, damit neue und verbesserte Strategien sich auf die Erforschung der noch nicht ausgeschlossenen Bereiche konzentrieren können.

Dieser Text wurde auf englisch auf der Seite der CMS-Kollaboration veröffentlicht.

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