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27.01.2023

So präzise wie nie zuvor: ATLAS-Experiment stellt Rekord bei der Luminositätsmessung auf

Zwei Physiker bauen das schwarze Stahlrohr mit dem LUCID-Detektor in den ATLAS-Detektor ein

Der Luminositäts-Detektor LUCID sitzt direkt um das Strahlrohr des LHC, mittig in schwarz zu sehen. Dieses Bild zeigt die Installation des Vorgängermodells. Bild: CERN, Vincent Hedberg

Sie wollten es ganz genau wissen: Über einen Zeitraum von vier Jahren haben sich die Forschenden des ATLAS-Experiments am LHC am CERN angesehen, wie oft genau Protonen im Innern des riesigen Detektors aufeinandertreffen. Dass der LHC jede Sekunde mehr als eine Milliarde Kollisionen produziert, wissen wir. Aber je genauer man weiß, wie viele Wechselwirkungen zwischen Protonen es in einem bestimmten Datensatz gibt – eine Größe, die „Luminosität“ genannt wird“ – desto präziser können die Wissenschaftler:innen vorhersagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit interessante Prozesse auftreten und wie groß im Vergleich dazu die Rate der uninteressanten Prozesse, der sogenannte Untergrund, ist. Die Forschenden haben jetzt ihre bisher genaueste Luminositätsmessung veröffentlicht.

Was genau beinhaltet eine solche Messung? Wenn die Teilchenstrahlen im LHC kreisen, stecken sie in Paketen von jeweils mehr als 100 Milliarden Protonen. Wenn sich zwei Pakete kreuzen, treten einige der Protonen in Wechselwirkung miteinander und erzeugen die untersuchten Kollisionen. Das Maß für die Luminosität ist die Anzahl der Wechselwirkungen, wenn zwei Pakete sich kreuzen. Ihr Wert hängt ab von der Anzahl der Protonen pro Paket, der Dichte der Protonen und dem Winkel, in dem sich die Pakete begegnen. Sie hängt auch von der Anzahl der kollidierenden Protonenpakete pro Teilchenstrahl ab.

ATLAS hat mehrere Unter-Detektoren, die die Anzahl der bei Protonenwechselwirkungen erzeugten Teilchen messen. Dabei ist die durchschnittliche Anzahl der gemessenen Teilchen oft proportional zur durchschnittlichen Anzahl der Proton-Proton-Wechselwirkungen pro Paket-Begegnung. Deswegen kann sie zur Messung der Luminosität verwendet werden. Forschende können diesen Mittelwert verwenden, um die Luminosität (auch als momentane Luminosität bezeichnet) in Echtzeit während der Datenaufnahme zu überwachen und die integrierte Luminosität über längere Zeiträume zu messen.

Einer der wichtigsten Detektoren für diese Art von Messung bei ATLAS heißt „LUCID-2“. Er wurde speziell für solche Messungen gebaut. LUCID-2 besteht aus zwei Sätzen von Photomultiplier-Röhren (PMT), die das LHC-Strahlrohr in einer Entfernung von 17 Metern vor und hinter dem Wechselwirkungspunkt umgeben. Die PMTs messen Cherenkov-Licht, das von geladenen Teilchen aus Proton-Proton-Kollisionen abgesandt wird, wenn sie die Fenster der PMTs aus Quarzglas durchqueren. Zwei weitere ATLAS-Detektorsysteme werden zur ergänzenden Messung der Luminosität eingesetzt: der Innere Detektor, der die Anzahl der Spuren geladener Teilchen zählt, und die Kalorimeter, die die von den vorbeifliegenden Teilchen abgegebenen Energien überwachen.

Während alle diese Detektoren während der Datenaufnahme relative Messungen der Luminosität liefern, muss für die Messung der absoluten Luminosität der Teilchenstrahl im LHC auf eine ganz bestimmte Art eingestellt sein, mit der man die Detektorsignale kalibrieren kann. Das passiert einmal im Jahr. Mit dieser nach dem Nobelpreisträger Simon van der Meer benannten Messung können die Wissenschaftler:innen die Größe des Strahls bestimmen und messen, wie dicht die Protonen in den Paketen gepackt sind. Auf diese Weise können sie ihre Detektoren auf die absolute Luminositätsskala kalibrieren.

Rekordergebnis

Für ihre neue Messung führten die ATLAS-Forschenden in enger Zusammenarbeit mit dem LHC-Team Van-der-Meer-Scans bei niedriger Luminosität durch, mit durchschnittlich etwa 0,5 Protonenwechselwirkungen pro Paketübergang und sehr großen Lücken zwischen den Paketen. Zum Vergleich: Der LHC läuft typischerweise mit 20-50 Wechselwirkungen pro Paket-Kreuzung und mit enger beieinander liegenden Paketen. Die Kalibrierung aus dem VdM-Scan wird daher auf die normalen Betriebsbedingungen des LHC extrapoliert. Da der LUCID-2-Detektor für diese Unterschiede empfindlich ist, wurden seine Messungen mit einem speziellen Luminositäts-sensitiven Algorithmus kalibriert, der das wohlverstandene Verhalten der Messung der Anzahl von Spuren geladener Teilchen zwischen den vdM- und den Physikbedingungen ausnutzt.

„Mehrere Effekte können die Luminositätsmessungen von ATLAS beeinflussen, und wir haben die Größe all dieser systematischen Effekte sorgfältig bewertet“, erklärt Claudia Seitz, ATLAS-Wissenschaftlerin am Forschungszentrum DESY, die an den Messungen beteiligt war und insbesondere Studien, die mit dem Inneren Detektor durchgeführt wurden, geleitet hat. „Unter anderem haben wir auch untersucht, wie sich sich verschiedene Algorithmen zur Spurfindung auf das Resultat auswirken. Wir haben auch modelliert, wie sich die Teilchenstrahlen gegenseitig beeinflussen, und diese Korrekturen auf die absolute Kalibrierung angewandt.“

Mit diesem Ansatz ermittelten die ATLAS-Physiker:innen die integrierte Luminosität des gesamten von ATLAS aufgezeichneten und als gut für die physikalische Analyse zertifizierten Datensatzes von Run2 (von 2015 bis 2018) auf 140,1 ± 1,2 fb-1. Mit einer Unsicherheit von 0,83% ist dies die bisher genaueste Luminositätsmessung an einem Hadronenbeschleuniger. Das Ergebnis verbessert frühere LHC-Messungen um das Doppelte. Die für diese Messung entwickelten Methoden sind für den laufenden Run 3 des LHC von entscheidender Bedeutung und werden es den Forschenden ermöglichen, in Zukunft eine Präzision von weniger als einem Prozent zu erreichen.

Mehr Info:
Luminositätsbestimmung in Proton-Proton-Kollisionen bei 13 TeV mit dem ATLAS-Detektor am LHC

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